Kritik am Eigenmittelsystem
Parallel zu grundlegenden Reformen der EU-Ausgaben sollte das EU-Eigenmittelsystem einer Fundamentalreform unterzogen werden. Zwar hat das bestehende System durchaus seine Vorzüge: Es sorgt für stetige, vorhersehbare und verlässliche Einnahmen und garantiert ein ausgeglichenes Budget. Es resultiert in einer "fairen" Lastenverteilung zwischen den EU-Staaten, die gemäß dem Subsidiaritätsprinzip frei über die Verteilung der Belastung aus den Beitragszahlungen auf die Steuerzahler entscheiden können. Dennoch wird das Eigenmittelsystem seit langem kritisiert. Aus Nachhaltigkeitssicht bezieht sich der wichtigste Kritikpunkt darauf, dass es überhaupt nicht zur erwähnten EU-2020-Strategie und zu den nachhaltigen Entwicklungszielen beiträgt. Nachhaltigkeitsorientierte steuerbasierte Eigenmittel, die einen beträchtlichen Teil der nationalen Zahlungen ins EU-Budget ersetzen würden, könnten den Beitrag des Eigenmittelsystems zur Umsetzung zentraler EU-Ziele stärken. Im EU-Projekt "FairTax" werden derzeit Kandidaten für steuerbasierte Eigenmittel analysiert: eine EU-weite CO2-basierte Flugticketabgabe, eine Vermögensteuer, eine Finanztransaktionssteuer; eine gemeinsame Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage. Die meisten dieser Optionen werden auch im Monti-Report angesprochen. Steuerbasierte Eigenmittel stärken die Nachhaltigkeit der Besteuerung in der EU nicht nur direkt, sondern auch indirekt. Denn durch den Wegfall nationaler Beitragszahlungen schaffen sie Spielraum für die EU-Staaten, weniger nachhaltigkeitsorientierte Abgaben zu senken, insbesondere die oft hohen Abgaben auf Arbeit.
Wie realistisch ist die Umsetzung vor dem Hintergrund des bevorstehenden Brexit? Einerseits kann der Brexit zukunftsorientierte Reformen des EU-Budgets direkt unterstützen. Erstens, weil das Vereinigte Königreich einer der dezidiertesten Gegner einer stärkeren Steuerkoordination in der EU ist. Daher könnten ohne die Briten steuerbasierte Eigenmittel - etwa eine Finanztransaktionssteuer - leichter eingeführt werden. Zweitens, weil Großbritannien einer der entschiedensten Vertreter der Nettozahlerposition ist und sich in seiner Bewertung des Nutzens aus dem EU-Budget primär auf den Saldo aus Beitragszahlungen und empfangenen Transferzahlungen statt auf den europäischen Mehrwert von EU-Ausgaben fokussiert. Und drittens wird der Briten-Rabatt unnötig. Damit kann auch der Rabatt vom Rabatt für einige Nettozahler, darunter auch Österreich, endlich abgeschafft werden.
Mehrwert für die Bürger
Indirekte Unterstützung kann aus einem zunehmenden Bewusstsein der EU-Staaten resultieren, dass das EU-Budget einen größeren Mehrwert für die Bürger liefern muss, um Exit-Bewegungen in anderen EU-Staaten die Nahrung zu entziehen. Dies könnte die Offenheit und Bereitschaft erhöhen, Ausgabenreformen zur Stärkung des Europäischen Mehrwerts zuzustimmen: Und auch Reformen im Eigenmittelsystem zu akzeptieren, insbesondere bestimmte steuerbasierte EU-Eigenmittel. Und hier wiederum solche, die integrative Kraft entfalten können, weil sie, wie die Finanztransaktionssteuer, vielen EU-Bürgern als attraktiv erscheinen.
Andererseits könnte der Brexit die Nettozahlerdebatte zumindest kurzfristig verschärfen und Forderungen aus den Reihen der Nettozahlerländer nach einer Kürzung des EU-Budgetvolumens und/oder neuen Rabatten auslösen. Und er könnte die Diskussionen und Entscheidungen über Reformen im EU-Budget verzögern, abhängig von den Fortschritten in den laufenden Verhandlungen über die "divorce bill" und die künftigen Beziehungen zwischen den Briten und der EU.
Letztlich wird entscheidend sein, wie sich die Mitgliedsländer an den aufgrund des Brexit zu erwartenden Ausfall von netto jährlich 10 Milliarden Euro anpassen: durch höhere nationale Beiträge, zusätzliche Einnahmenquellen, Ausgabenkürzungen oder mit einer Kombination dieser Optionen. Der Ersatz eines bedeutenden Anteils der nationalen Beiträge durch nachhaltigkeitsorientierte steuerbasierte Eigenmittel könnte als Katalysator dafür wirken, dass die Nettozahler der Aufrechterhaltung des derzeitigen Ausgabenniveaus im Tausch für eine weitreichende Reform der Ausgabenstruktur zustimmen.
Eine detailliertere Fassung dieses Kommentars ist als Policy Brief der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) erschienen: www.oegfe.at/policybriefs