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Von der Themse an die Donau - koste es, was es wolle!

Von Stefan Brocza

Gastkommentare

Bei der Bewerbung um die EU-Arzneimittelagentur scheuen die Stadt Wien und die Bundesregierung keine Kosten. Der Profit für Österreichs Wirtschaft wird aber überschätzt.


Während Wiens Bürgermeister Michael Häupl selbstbewusst verlauten lässt, "die EU soll sich bitte nicht um jeden Schmarrn kümmern", fährt die Wiener Stadtregierung eine Charmeoffensive für die Übersiedlung der EU-Arzneimittelagentur von der Themse an die Donau. Finanzstadträtin Renate Brauner, assistiert vom Brexit-Beauftragten der Stadt Wien, Wirtschaftsagentur-Chef Gerhard Hirczi, präsentierte Ende März gleich einmal die Endauswahl der künftigen Standorte.

Dafür hat man den Immobilienspezialisten Teamgnesda beauftragt, den gesamten Wiener Immobilienmarkt zu scannen und zu bewerten. Zur Auswahl stehen - neben dem denkmalgeschützten Postsparkassengebäude von Otto Wagner und der ehemaligen CA-Zentrale am Wiener Schottentor - die üblichen Verdächtigen der Wiener Immobilienentwicklung rund um den Zentralbahnhof oder etwa den Nordbahnhof. Zusätzlich wurde eine eigene Website gelauncht, die den bisherigen Mitarbeitern der EMA (European Medicines Agency) den Umzug nach Wien schmackhaft machen soll.

Zwei Monate zuvor schon hatten Wirtschafts- und Arbeiterkammer ihren "Schulterschluss" im Kampf um das attraktivste Stück vom Brexit-Kuchen verkündet. Die EMA - mit mehr als 900 Mitarbeitern immerhin die zweitgrößte EU-Agentur - muss nach dem bevorstehenden Austritt Großbritanniens aus der EU in eines der verbleibenden EU-Mitgliedsländer umgesiedelt werden. Das weckt Begehrlichkeiten. Dabei geht es gar nicht um die inhaltliche Arbeit der Agentur, die Erteilung von Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln in Europa - attraktiv scheint das damit verbundene Geschäft: 900 EU-Mitarbeiter geben Geld aus, mieten Wohnungen, und die Agentur zieht zusätzliche Besucher an.

Das primäre Argument der beiden Sozialpartner war denn auch die viel beschworene "Umwegrentabilität". Im Jänner gab die Wirtschaftskammer diese noch mit 133 Millionen Euro jährlich an, Ende März wurde sie von Brauner bereits mit 200 Millionen Euro beziffert. Dass es sich dabei eher um grobe Schätzungen oder gar Milchmädchenrechnungen handeln dürfte, stört offenbar niemanden. Als Grundlage wird zwar regelmäßig eine "Studie der Wirtschaftskammer" genannt - auf Nachfrage stellt sich aber heraus, dass es diese Studie gar nicht gibt. Egal: Viel muss es sein. Zusammen mit der Möglichkeit, Büroflächen an den Mann zu bringen, lässt es das Wiener Politikerherz höher schlagen.

Da können Bundeskanzler und Vizekanzler natürlich nicht zurückstehen. Sie präsentierten Ende April schließlich auch noch die offizielle Bewerbung Österreichs um die EU-Arzneimittelagentur. Da auf Regierungsebene alles natürlich noch einmal größer und beeindruckender sein muss, versprach Bundeskanzler Christian Kern: "Die Effekte werden wohl kaum unter einer Milliarde Euro bleiben." Wien also gewiefter Schnäppchenjäger - quasi als Brexit-Abstauber.

Die Kritik an den vielen EU-Agenturen ist verstummt

Erstaunlicherweise ist jede Kritik am EU-Agenturunwesen in Österreich verstummt. Jahrelang wurde ja kritisiert, dass die wachsende Auslagerung von Aufgaben und Tätigkeiten in Agenturen dazu führe, dass deren Arbeit der Kontrolle des EU-Parlaments entzogen werde. Sobald es jedoch darum geht, ein Stück vom Kuchen zu bekommen, scheint das alles kein Thema mehr zu sein. Da werden plötzlich nur noch Jobs gesehen - und konsequent falsche Erwartungen geweckt: Für Österreichs Arbeitsmarkt ändern würde sich durch eine Übersiedlung der EMA von London nach Wien nicht wirklich viel. Die EMA ist personell voll ausgestattet, und freiwerdende Stellen werden EU-weit ausgeschrieben. Da setzen sich dann die Besten aus einer Gesamtbevölkerung von 510 Millionen durch. Für Wien bleibt da allenfalls ein Startvorteil für lokales Reinigungspersonal. Spitzenjobs für Österreicher bringt die EMA jedenfalls keine.

Für die akkordierte Staatsaktion zur EMA-Umsiedlung hat die Bundesregierung auch noch einen externen Berater beauftragt. Der 80-jährige, seit zehn Jahren pensionierte ehemalige EU-Botschafter Gregor Woschnagg soll eine "Verbalnote" an die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten schicken. Die Wirtschaftskammer informiert stolz, Woschnagg kämpfe seit Monaten quasi unermüdlich rund um die Uhr für Österreich als künftigen EMA-Standort. Fragen nach den damit verbundenen Kosten werden konsequent abgeblockt. Das Kanzleramt teilt auf eine Anfrage hin mit, "dass sich das Kabinett des Bundeskanzlers die Beantwortung vorbehält". Aus diesem kommen dann Allgemeinplätze zur Qualifikation des einstigen österreichischen Spitzenbeamten und nunmehrigen Handlungsreisenden in Pharmafragen.

Mit etwas Verspätung hakt dann das Kabinett des Kanzleramtsministers nach und lässt jegliche Frage nach Kosten, Ausschreibung oder gar Sinnhaftigkeit kleinlich erscheinen. "Die Frage, die wir uns in diesem Prozess stellen, ist: Wie können wir alle uns zur Verfügung stehenden Ressourcen optimal nutzen, um eine positive Entscheidung im Sinne Wiens und Österreichs zu bewirken? Es geht hier also vor allem darum, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die sich für uns ergeben, um hier einen positives Ergebnis zu erzielen." Ein durchaus interessanter politischer Ansatz: Egal, was es kostet, allein das Ergebnis zählt.

Wie stehen nun tatsächlich die Chancen für Österreich, die EU-Arzneimittelagentur an Land zu ziehen? Wien konkurriert mit 20 anderen EU-Städten. Und die Erfahrung hat gezeigt, dass am Ende nicht immer objektive Argumente ausschlaggebend für den Zuschlag für EU-Agenturen sind. Die EU-Lebensmittelagentur ging seinerzeit nicht nach Finnland, weil Italien der Meinung war, Finnen hätten keine Ahnung von der Qualität von Parma-Schinken.

International gilt Wien nicht einmal als Außenseiterkandidat

Die Ansiedlung einer Agentur ist der goldene Chip im EU-Poker. Ihn bekommt, wer politisch am lautesten schreit, droht oder blockiert. All das tut Österreich nicht. Auch ein Blick in internationale Medien sollte die Begehrlichkeiten reduzieren: In keinem aktuellen Bericht kommt Wien als potenzieller Standort vor, nicht einmal als Außenseiterkandidat - was Kanzler und Vizekanzler bei ihrem EMA-Auftritt Ende April aber nicht weiter tangierte. Sie verkündeten stolz und überzeugt: "Österreich zählt neben drei bis vier weiteren Ländern zum engeren Favoritenkreis."

Was aber wohl am schwersten wiegt: Das politische Umfeld passt einfach nicht. Die EU-Bankenagentur, die zweite in London ansässige Agentur, wird wohl nach Frankfurt (allenfalls Paris oder Luxemburg) umgesiedelt. Damit müsste die Arzneimittelagentur - dem EU-Binnenpluralismus folgend - in ein Nicht-Euroland gehen. Dänemark und Schweden bieten sich da an. Und schließlich drängt sich Österreich auch nicht unbedingt wegen EU-freundlicher Aussagen und Handlungen auf. Wer EU-Ausländern (die in Wirklichkeit Unionsbürger sind) Sozialleistungen und Kinderbeihilfe kürzen will, in Flüchtlings- und Währungsfragen alles besser weiß und sich gleichzeitig gegen den gültigen Flüchtlingsumverteilungsschlüssel wehrt, drängt sich nicht unbedingt für eine Belohnung auf.

Die Bundesregierung und Wien sollten sich daher auf eine Enttäuschung gefasst machen. All das schöne Geld, das jetzt für die Bewerbung ausgegeben wird, könnte eine Fehlinvestition sein. Sollte Wien wider Erwarten doch den Zuschlag erhalten, dann war es unverschämtes Glück. Glück ist aber keine Frage der eingesetzten Finanzmittel. Und noch eine Frage muss man sich stellen lassen: Warum eigentlich braucht man für jeden simplen politischen Vorgang externe Berater? Als vor einem Jahrzehnt schon einmal eine EU-Agentur nach Wien kam (jene für Grundrechte), wurde das aus dem Beamtenstab der Ministerien heraus bewerkstelligt.