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Die Grünen und die Mühen der Ebene

Von Bernhard Löhri

Gastkommentare

Die politische Analyse tut sich etwas schwer mit der Einordnung der jüngsten Ereignisse bei den Grünen. Man muss nicht deren Wähler sein, um bei der Partei attraktive Elemente auszumachen. Doch die positiven Zuschreibungen werden offenbar der Tagespragmatik und der Bewältigung der Mühen des politischen Alltages niveaulos geopfert.

Neben der Besetzung des Umweltthemas haben sich die Grünen in den vergangenen Jahrzehnten auch um neue Organisationsformen bemüht - und darum, Ansprüche wie innerparteiliche Demokratie, Beeinflussung der Politik durch Bürgerbewegungen und Demokratisierung aller Lebensbereiche etwas weiterzubringen. Dafür wurden alle Register modernen Politik-Marketings gezogen. Auffallen um jeden Preis soll Themen transportieren, Menschen zum Nachdenken anregen und zur Mitwirkung gewinnen.

Die Organisationsentwicklung im makro-sozialen Bereich fordert ja alle, Betroffene sollen zu Beteiligten gemacht werden. Es geht also darum, die Menschen dafür zu gewinnen, sich einzumischen. Damit haben die Grünen attraktive Überlegungen in den politischen Diskurs gebracht, die sich angenehm von den oft macht-mechanischen Vorstellungen anderer Parteien abgehoben haben.

Sie beeindruckten auch mit einem hohen Aktivitätspegel, mitunter war das Ziel vernebelt, aber das Engagement hoch. Der Aphorismus "Wer das Ziel nicht kennt, für den ist kein Weg der Richtige" ist unbequem, aber wahr. Doch die Grünen fanden lange Zeit mit betonter Umweltpolitik und Forderungen nach weitgehender Entstaubung der gesellschaftlichen Institutionen ein attraktives Themensetting vor, das ihnen allzu schnell einen Platz im politischen Establishment sicherte.

Von Gegnern zu Unterstützern der Europäischen Union

Steil war die Transformation der Identität der Grünen von der Gegnerschaft zur Europäischen Integration hin zu vollen Unterstützern der Europäischen Union zu einem Zeitpunkt, als das Maastricht-Europa mit seinen teils suboptimal aufgestellten Zentralstaatsfantasien Gestalt annahm. Die Grünen haben als Erste den europäischen Charakter der Parlamentswahlen auch bei der Kandidatenaufstellung betont. Das neoliberale Projekt der EU mit einer starken Kommission fasziniert sie geradezu, der Nationalstaat ist für sie ein Auslaufmodell.

Diese spannenden Entwicklungen innerhalb der Grünen haben natürlich auch Schrammen hinterlassen. Erfolgreich war die Partei dort, wo sie besondere Konzessionen zu Bürgertum und pragmatischen Politik gemacht hat. Bundespräsident Alexander van der Bellen ist hier zu nennen, sein Persönlichkeitsformat hat es ermöglicht, ihn als Identifikationsfigur für das bürgerliche Österreich erfolgreich zu positionieren. In Westösterreich sind die Grünen grosso modo bequeme Mehrheitsbeschaffer für die ÖVP, allerdings mit einer Programmatik und Rhetorik, die in wohltuendem Gegensatz zur Grünen-Politik etwa in Wien steht. Und im Westen schaffen die Grünen, was sie gerne überall erreichen würden: Sie verweisen die FPÖ auf einen Platz der landespolitischen Bedeutungslosigkeit.

Natürlich macht es so viel Gegensätzlichkeit schwierig, eine Gemeinsamkeit in eine Partei zu bringen. Dazu kommt, dass die handelnden Personen offenbar an an den Grenzen ihrer Kapazität angelangt sind. Wäre die ÖVP mit ihren revoltierenden Studenten-Fraktionen in den 1970ern auch so autoritär umgegangen, wäre sie wohl schon lange verschwunden. Damals fanden die geistigen Überlegungen von Demokratisierung aller Lebensbereiche, Emanzipation, Partizipation einen klaren Widerhall. Politiker des vergangenen Jahrzehnts, wie Wilhelm Molterer, Michael Häupl oder Ernst Strasser, fochten miteinander schwere Sträuße aus. Doch die politischen Parteien kamen mit ihren radikalen Studentenfraktionen zurecht. Führungsperformance und Konfliktmanagement wurden zwar nicht ständig thematisiert und evaluiert, aber bewältigt.

Ein Blick in die aktuellen Probleme der Grünen, sei es nun der Umgang mit den Studentengruppen oder mit der direkten Demokratie, führt zur Frage der Souveränität der Akteure. War Van der Bellen als Bundesparteichef ein Betriebsunfall in der Welt der Grünen? Mit Blick auf Eva Glawischnig und ihr Verhalten müssen sich auch die Grünen überlegen, welche Eigenschaften ein Spitzenpolitiker mitbringen muss; dass er eine Spitzenfunktion einnimmt und auch wieder abgibt.

Innerparteiliche West-Ost-Spannungen

In der langen Zeit von Glawischnigs Obfrauschaft haben die Grünen es versäumt, zentrale Fragen ihrer Identität aufzuarbeiten. War doch das Besetzen des Umweltthemas und in der Folge das Pochen auf exklusive Lösungskompetenz ein Aufspringen auf einen Zug, den andere in Bewegung gesetzt haben. Ein atomkraftfreies Österreich etwa hat Vorarlberg mit seinem Kampf gegen das AKW Rüthi entscheidend auf den Weg gebracht. Wie überhaupt die West-Ost Spannung bei den Grünen heute nicht unterschätzt werden darf: Einflüsse aus dem passabel von den Grünen geführten Baden-Württemberg (10,9 Millionen Einwohner) wirken halt anders als der mühsame Verwaltungskrampf der Wiener Grünen in der Landespolitik mit dem autoritären Zeigefinger, während sie nicht mit der innerparteilichen Demokratie zurechtkommen.

Die autoritären Züge der grünen Spitzenpolitikerinnen Glawischnig oder Maria Vassilakou befremden jedenfalls. Das ist man sonst von anderen Parteien gewohnt. Und wenn neueste sozialwissenschaftliche Forschungen davon berichten, dass in der österreichischen Gesellschaft ein verstärkter Wunsch nach starker Führung ausgemacht werden könne, dann müssen es nicht die Grünen sein, die so auffällig diesen Trend besteigen wollen.

Oder ist es einfach die DNA der Grünen, auf neue Trends aufzuspringen? Vor 40 Jahren waren es das Umweltthema und die Anti-Atom-Bewegung, heute ist es die neue Autorität in der Politik, die die Sozialwissenschaften identifiziert haben. Die Grünen bieten da aktuell mit ihrem Verständnis des Meinungsaustausches, wonach die Parteimitglieder ihre Meinung gegen die der Parteispitze zu tauschen hätten, ein Modell der politischen Kommunikation an.

Zum Autor

Bernhard Löhri

war Direktor der Politischen Akademie der ÖVP und beschäftigte sich im Rahmen seines beruflichen Wirkens mit Fragen der Organisationsentwicklung in Politik und Wirtschaft.