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Alle kamen zu Kurz

Von Bernhard Löhri

Gastkommentare

Ein Sextett von ÖVP-Landeshauptleuten plus Bündechefs pilgerte gemeinsam zum Meidlinger Tivoli, um den Meidlinger Sebastian Kurz auf den Schild zu heben. Der kraftvoll inszenierte Beschluss zukunftsträchtiger politischer Führung entpuppt sich bei genauem Hinschauen jedoch als ängstliches Delegieren von Verantwortung nach oben zu einem Wunderwuzzi und Erlöser. Nebenbei werden die Dysfunktionalitäten des unkoordinierten Nebeneinanders von Bund und Ländern nun auch in der ÖVP-Struktur in Beton gegossen: Zwei fürderhin unkoordinierte "Firmen" sollen sich um ein Elektorat kümmern und die Menschen mit zwei getrennten Politprogrammen langweilen. Was das alles für das künftige Standing der Landesparteien bedeuten wird, ist von den Akteuren wohl noch nicht bedacht.

Unerwartet ist das aber nicht wirklich: Eine Arena-Analyse aus dem Jahr 2013, vom Wiener Public-Affairs-Büro Kovar & Partners gemeinsam mit "Die Zeit" und "Die Presse" editiert und damals in Alpbach diskutiert, spricht von einer ÖVP, die mittelfristig dem Untergang geweiht sei und die es spätestens 2017 in dieser Form nicht mehr geben werde. Erwartet wurde in dieser vier Jahre alten Prognose ein multipliziertes CSU-
Modell, in dem angeführt von Niederösterreich sich mehrere Landesparteien von der Mutter trennen, um ihre Wahlchancen im eigenen Bundesland intakt zu halten. Für die Städte erwartet man sich neue Parteien als Bürgerlisten, das Modell Innsbruck multiplizierend, wo ehemalige ÖVP-Politiker durch Weglassen des Etiketts ÖVP reüssieren.

Ein Polit-Kommando-Betrieb

Eine Liste Sebastian Kurz auf Bundesebene kann so gesehen nicht überraschen. Es geht um die Umsetzung strategischer Führungsmodelle, freilich um den Preis der Aufgabe eines systemischen Zusammenhanges einer gesamthaften Österreich-Politik. Die gemeinsame Aufgabe des multiplen Interessenausgleichs von Volkspartei als Folge demokratischer Strukturen soll nun aufgegeben werden zugunsten eines autoritativen Polit-Kommando-Betriebes. Wenn autoritatives Führen definiert wird mit Monopolisierung von Entscheidungen, dann macht die ÖVP einen gewaltigen Schritt in Richtung autoritärer Partei, was natürlich etwas anderes ist als eine strategisch stark aufgestellte Partei wie etwa die CDU in Deutschland.

In der Expertise aus dem Jahr 2013 wird auch das Szenario antizipiert, dass keine Zweierkoalitionen mehr möglich seien und nach vollzogenem Generationenwechsel in den etablierten Parteien eine neue Qualität von Politik möglich werde. Analog zu Generationswechseln im Management, wo traditionell die Chancen auf kulturelle Veränderungen genutzt werden, könnte auch die Politik Reformchancen nutzen. Exzellenz in Personenqualität und Gouvernance ist dann die Voraussetzung für Erfolgsstrategien.

Für Österreich stellt sich die Frage, ob die handelnden Personen von ihrem kognitiven Potenzial her samt allgegenwärtiger Beraterdependenz in eigenverursachter Beschränktheit gefangen sind. Im wirtschaftsstarken Land fehlen der Politik verfügbare Talente, sind doch Karrieren in der Wirtschaft wesentlich attraktiver und nachhaltiger.

Schwer wiegt in Österreich die Sklerose der Institutionen, die Politik in vielen Fällen im Bereich des Verwaltungskrampfes gefangen hält und daran hindert, die Sphären des Politischen überhaupt zu erreichen. Politik, die in der Kultur von Unverbindlichkeit und Oberflächlichkeit verharrt, läuft Gefahr in unterer Mittelmäßigkeit zu verbleiben. Veränderung wird dann nur einem Messias als Erlöser zugetraut.

Inszenierung statt Inhalt

Das ist, was offenbar in der DNA der ÖVP steckt und vor gut 15 Jahren mit der damaligen Erlöserfigur Karl-Heinz Grasser misslang. Dies soll nun durchgezogen werden. Mit Wolfgang Schüssel begann der Ersatz des politischen Inhalts durch Design und Inszenierung, seine politischen Inhalte waren überschaubar oder sind in gerichtlicher Aufarbeitung, doch die Inszenierung entwickelte sich weiter.

Die Berlusconisierung Italiens, die in den 1990ern startete, führte zu jenem Italien, wie wir es jetzt haben. Die Auflösung der italienischen Christdemokratie ebnete Silvio Berlusconi den Weg, der von ÖVP-Politikern willkommen geheißen wurde. Ob Kurz’ Leuchtkraft Österreichs Politik neue Glut von Qualität und Professionalität bringt, oder ob es nur für eine Stichflamme reicht, das sind die großen Unbekannten.

Jedenfalls wird wohl auch Kurz in den Strukturen österreichischer Staatsgläubigkeit und -abhängigkeit gefangen bleiben. Finanzieren darf das Ganze der Steuerzahler via eines der teuersten Parteiförderungssysteme. Die ÖVP-Strukturen sollen zumindest als Logistik für die Abwicklung der Parteisubventionen erhalten bleiben. Hier ist also kein Emmanuel Macron, der gerade etwas Neues "en marche" bringt. Kurz wendet sich vertrauensvoll an den Steuerzahler, der sich in der Gnade findet, seine Parteiüberlegungen zu finanzieren.

Wenn Österreich sich vermehrt vom Vorbild Schweiz absetzt und politisch Anleihen an Südeuropa nimmt, dann sind die ÖVP-Veränderungen eine weitere Orientierung nach Süden. Neutralität, Stabilität und Berechenbarkeit waren gestern; Fragmentierung, Show, Willkür und Politik als Unterhaltungsfaktor stehen ante portas.

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Bernhard Löhri

war Direktor der Politischen Akademie der ÖVP.