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Das Internet der Dinge - Segen und Fluch zugleich

Von Barbara Wiesner

Gastkommentare
Barbara Wiesner war von 1992 bis 2006 Professorin für Informatik an der Technischen Hochschule Brandenburg. Zu ihren Spezialgebieten gehörten Sicherheit, Kryptographie und Privacy. Inzwischen ist sie im Ruhestand und lebt in Wien. Foto: privat

Das Internet der Dinge besteht aus minimalen Sensoren und Prozessoren, die mit dem Internet verbunden sind und so miteinander kommunizieren können. Sie sammeln Unmengen an Daten, analysieren sie und geben sie weiter. Dadurch eröffnen sie bisher ungeahnte Möglichkeiten etwa zur technischen Steuerung von Geräten, die unseren Alltag gravierend verbessern. Man denke nur daran, wie bequem es ist, auf dem Heimweg via Handy die Heizung einzuschalten oder vom Staubsauger eine Info aufs Handy zu bekommen, dass neue Staubsaugerbeutel bestellt werden müssen. Dass, wie bei allem Neuen, mit dieser Technologie auch Gefahren verbunden sind, gerät dabei oft in Vergessenheit. So können solche Systeme durch Hackerangriffe zum Sicherheitsrisiko werden. Zudem lassen die Unmengen an Daten die Menschen gläsern werden und bieten dadurch auch Möglichkeiten zu Kontrolle und Beeinflussung, die man so vielleicht nicht haben möchte.

Das Internet der Dinge ist ein riesiges globales Netzwerk, dessen Struktur jederzeit und überall verfügbar ist, für jedes und jeden. Es verbindet Geräte, Systeme, Daten und Personen. Man spricht auch von einem "allgegenwärtigen" Netz. Mit der Vielzahl und der Detailliertheit der Informationen bietet dieses Netzwerk bisher ungeahnte Möglichkeiten, auf die kaum jemand in unserer Gesellschaft mehr verzichten möchte.

Beispiele dafür sind die Waschmaschine, die eine Nachricht ans Handy schickt, wenn sie durchgelaufen ist; das Fitnessarmband, das die sportlichen Aktivitäten seines Trägers misst und auf sein Handy schickt - vielleicht aber auch an die Krankenkasse -; das mit vielen Sensoren und Prozessoren ausgestattete Auto, das das Fahrverhalten kontrolliert, die zurückgelegte Strecke erfasst und mitteilt, wenn es Zeit zum Tanken ist, und noch vieles mehr; der Fernseher, der aufzeichnet, wann welche Sendungen eingeschaltet wurden; oder der Kühlschrank, der erkennt, wann welche Waren verbraucht sind, und diese selbständig nachbestellt. Ein gutes Beispiel ist auch die französische Bahn, die Züge und Gleise mit Sensoren ausrüstet, die Daten für die Wartung senden. Das ermöglicht den Ingenieuren in den Reparaturwerkstätten, frühzeitig Probleme zu erkennen und Ersatzteile zu bestellen, noch bevor ein Defekt auftritt. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Nutzen und Schaden

So kann der Hackerangriff auf den Bordcomputer eines Autos durchaus einen tödlichen Unfall zur Folge haben. Ein gehackter Fernseher ist zwar nicht lebensgefährlich, aber den geplanten Fernsehabend dürfte man wohl erst einmal vergessen. Und was passiert, wenn ein Herzschrittmacher gehackt wird, mag man sich lieber nicht ausmalen.

Was die Privatsphäre der Nutzer betrifft, so gestaltet sich deren Schutz bei der Vielzahl der Daten und Kommunikationsbeziehungen immer schwieriger. So mag der intelligente Stromzähler (Smart Meter), der den Stromverbrauch misst und gegebenenfalls an den Versorger sendet, beim Stromsparen helfen. Mit ihm lässt sich aber auch feststellen, wie viele Menschen gerade in der Wohnung sind und was sie tun. Jemanden in einer Wohnung zu verstecken, ist damit kaum noch möglich. Makaber, aber: Anne Franks Familie wäre wohl bei Vorhandensein eines Smart Meters sehr viel früher entdeckt worden.

Mithilfe dieser vielen Sensoren kann man das alltägliche Leben einer großen Zahl von Menschen in Echtzeit erfassen. Dabei decken die hier gesammelten Daten unter Umständen sensible Verhaltensmuster auf, die Verbraucher lieber geheim halten würden. Wer kann sich schon vorstellen, dass die Analyse der Daten eines Kopfhörers (die Auswahl der gehörten Sendungen, Hörbücher oder Podcasts) Rückschlüsse auf Religion, sexuelle Orientierung oder Gesundheitszustand der Nutzer des Kopfhörers zulässt; dass ein Herzschrittmacher oder ein Fitnessarmband zu Belastungszeugen bei schweren Verbrechen werden könnten; oder dass der Lenker eines Autos mittels Fahrstilanalyse eindeutig identifiziert werden kann, um zum Beispiel festzustellen, ob der Sohn und nicht der Vater gefahren ist oder ob der Lenker unter Alkohol- oder Drogeneinfluss stand.

In Echtzeit beeinflusste Realität

Es aber nicht bei einer Analyse. Der nächste Schritt ist dann, diese Realität zu kontrollieren und sie darüber hinaus auch in Echtzeit zu beeinflussen. Die Gefahr der Kontrolle durch solche allgegenwärtigen Systeme hat bereits der US-Informatiker Mark Weiser (1952 bis 1999) erkannt. "Das Problem ist die Beeinträchtigung der Privatsphäre", schrieb er. "In Wirklichkeit sind es aber die Kontrollmöglichkeiten, die diese Technologie so problematisch machen." Ein typisches Beispiel dafür sind Telematik-Tarife von Kfz-Versicherungen. Bei diesen Tarifen entscheidet das Fahrverhalten über die Höhe der Versicherungsprämie. Der Versicherer kontrolliert damit nicht nur den Fahrstil des Versicherten, sondern er versucht außerdem, diesen dahingehend zu beeinflussen, dass weniger Unfälle verursacht werden, wodurch sich der niedrigere Versicherungstarif für die Versicherung letztlich auszahlt.

Interessenten für die Daten, die beim Internet der Dinge anfallen, gibt es viele. Diese Daten lassen sich vortrefflich nutzen, sei es für Steuerung, Kontrolle oder Beeinflussung. Sie lassen sich aber auch mit hohem Gewinn verkaufen. Das Ganze geschieht auf dem Rücken der Nutzer, die an diesem Gewinn keinen Anteil haben, obwohl sie in Form ihrer Daten das Rohmaterial dafür liefern und dadurch immer gläserner werden.

Es gilt bei den Nutzern ein Bewusstsein für das Vorhandensein dieser Datensammlungen und deren Auswirkungen zu schaffen. Zudem stellt sich die Frage, ob wirklich alles mit jedem vernetzt sein muss. Das Thema Sicherheit wird in Zukunft immer wichtiger werden. Die Forderung des deutschen Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik nach einheitlichen Mindeststandards für Geräte im Internet der Dinge, die es derzeit definitiv nicht gibt, ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung. Beim Internet der Dinge sind sowohl die Hersteller als auch die Politik gefragt, Verantwortung zu übernehmen.