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Weniger Wochenstunden für beide Geschlechter

Von Schifteh Hashemi

Gastkommentare
Schifteh Hashemi ist Sozioökonomin, arbeitet bei "arbeit plus", dem Netzwerk Sozialer Unternehmen in Österreich, und ist Sprecherin des "Frauenvolksbegehrens 2.0".

Warum eine Arbeitszeitverkürzung (auch) ein frauenpolitisches Anliegen ist.


Wie viele Paare mit Kindern kennen Sie? Wie ist bei diesen (Erwerbs-)Arbeit verteilt? Rein statistisch müsste bei zwei Dritteln der Mann vollzeit- und die Frau teilzeitbeschäftigt sein oder gar keiner Erwerbsarbeit nachgehen und den Großteil der unbezahlten Arbeit - Kinderbetreuung, Pflege, Hausarbeit - erledigen.

Für die Gleichstellung von Frauen ist das ein Problem. Vollzeitarbeit in der derzeitigen Form ist nur schwer mit einer Versorgungspflicht vereinbar. Wer sich keine externe Kinder- oder Pflegebetreuung leisten kann beziehungsweise keine familiäre Unterstützung hat, ist als Alleinerziehende/r ohnehin, aber auch in einer Paarbeziehung darauf angewiesen, Erwerbsarbeitsstunden zu verringern. Dieses Problem betrifft nicht nur Frauen, aber die Zahlen zeigen, dass es noch immer sie sind, die ihre Arbeitszeit reduzieren. 2016 waren 47,7 Prozent der Frauen in Österreich teilzeitbeschäftigt (Männer: 11,8 Prozent), bei den 25- bis 49-jährigen Frauen mit Kindern unter 15 Jahren sogar 74,2 Prozent (Männer: 6,9 Prozent). Modelle, in denen Frauen (auch bei verbesserter Kinderbetreuung) bloß aufgefordert werden, Vollzeit zu arbeiten, ohne die gesellschaftliche Relevanz und Verteilung von unbezahlter Arbeit anzusprechen, greifen also zu kurz. Denn Versorgungs- und Hausarbeit ist in Österreich noch immer weiblich. Die jüngsten erhobenen Daten aus den Jahren 2008/2009 (!) zeigen, dass zwei Drittel der jährlich 9,7 Milliarden unbezahlten Arbeitsstunden auf Frauen entfallen.

Aus frauenpolitischer Sicht gilt es, das gesellschaftlich vorhandene Arbeitsvolumen, das aus notwendiger Erwerbsarbeit - aber eben auch aus notwendiger, aber unbezahlter Versorgungsarbeit - besteht, gerecht aufzuteilen. Die ungleiche Verteilung von Arbeit ist ein Teufelskreis für viele Frauen. Die Abwesenheit vom Arbeitsmarkt rächt sich durch geringere Karrierechancen, Tätigkeiten mit weniger Verantwortung, hohen Einkommensunterschieden (Gender Pay Gap von 21,7 Prozent auf Basis des Bruttostundenverdienstes) und noch höheren Unterschieden bei Pensionen (Pension Pay Gap von 39 Prozent). Aber auch zunehmend mehr Männer nehmen die traditionellen Rollenzuschreibungen in der (Erwerbs-)Arbeit als belastend und limitierend wahr.

Als Gesellschaft müssen wir uns letztlich auch die Frage stellen, wie viel Arbeit überhaupt auf einen Menschen entfallen kann und soll. Diese großen Zukunftsfragen werden mit der Digitalisierung der Arbeitswelt noch wichtiger, aber auch Burn-out und Gesundheitsstatistiken müssen zu denken geben. Der Arbeitsmarkt steht vor großen Umbrüchen. Gestalten wir sie zukunftsfähig - und damit auch geschlechtergerecht - oder nicht?

An einer Erwerbsarbeitszeitverkürzung auf 30 Wochenstunden für Frauen und Männer kommen wir nicht vorbei. Selbstverständlich ist diese Forderung kein Selbstläufer. Sie ist eine große Vision, die viele neue Fragen, speziell nach der Finanzierung, aufwirft. Aber sie eröffnet die Möglichkeit, ein zukunftsfähiges Modell einer partnerschaftlichen und letztlich auch gesellschaftlichen Bewertung und Verteilung von Erwerbs- und Versorgungsarbeit überhaupt neu denken zu können. Haben wir den Mut, visionär zu sein!