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Das Erbe des Kanzlers

Von Christian Ortner

Gastkommentare
Christian Ortner.

Zur Hinterlassenschaft Helmut Kohls gehört nicht nur die Wiedervereinigung Deutschlands, sondern auch die Bresthaftigkeit des Euro.


Helmut Kohl, der dieses Wochenende begraben und mit dem ersten Europäischen Staatsakt gewürdigt wird, war ohne jeden Zweifel der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort, als sich 1989 die Menschen in der DDR ihrer kommunistischen Unterdrücker entledigten und so das Fenster zur Wiedervereinigung der Deutschen ebenso kraftvoll wie gewaltfrei aufstießen.

Kohls wirklich historisches Verdienst war, ist und wird immer bleiben, diese einmalige Chance im Interesse des deutschen Volkes genutzt zu haben - und zwar gegen ganz enorme Widerstände, die heute zum Teil schon wieder weitgehend vergessen sind. Denn weder die Regierenden in Paris noch jene in London waren von der Vorstellung eines wiedervereinigten Deutschland sonderlich begeistert; auch der damals führende SPD-Politiker Oscar Lafontaine lehnte die Wiedervereinigung ab und warnte vor "nationaler Besoffenheit" und einer Einbindung des vereinigten Deutschlands ins westliche Bündnis Nato mit der hübschen Formulierung: "Welch ein historischer Schwachsinn!" - Welch ein historischer Schwachsinn, wie wir heute wissen.

Es blieb Kohl vorbehalten, gegen all diese törichten Widerstände zum Kanzler der deutschen Einheit zu werden; zum zweiten nach Otto von Bismarck. Das gewaltige historische Verdienst ändert freilich nichts daran, dass Kohl erstens von Wirtschaft erstaunlich wenig verstand und sich zweitens erstaunlich wenig um ökonomische Gesetze kümmerte; mit zum Teil erheblichen Nachteilen für Deutschland. Das "Primat der Politik über die Wirtschaft" akzeptierte er in einem für bürgerliche Politiker erstaunlichen Maß, das bis heute nicht nur günstige Folgen hat.

Besonders zeigte sich das im Nachgang zur deutschen Einheit, als es darum ging, zu welchem Kurs die Ersparnisse der DDR-Bürger in (weitgehend wertlosen) DDR-Mark in westliche D-Mark umgetauscht werden sollten. Entgegen jeder wirtschaftlichen Vernunft und gegen den dringenden Rat der Bundesbank setzte er einen Umtauschkurs durch, der weit von jeder Realität war und die DDR-Bürger grob bevorzugte.

Und zwar ausschließlich, weil er es für politisch opportun fand. Ob er überhaupt begriff, dass er damit natürlich den mühsam erarbeiteten inneren Wert der harten D-Mark verwässerte, ist bis heute ungewiss.

Ganz ähnlich agierte der Einheitskanzler bei der Einführung des Euro. Auch hier entschied er entgegen dem Rat der Bundesbank und vieler Ökonomen, nicht darauf zu warten, bis alle Mitgliedsländer der Eurozone ihre wirtschaftlichen Verhältnisse weitgehend harmonisiert hatten ("Krönungstheorie"), sondern setzte die Einführung des Euro trotz erheblicher ökonomischer Diskrepanzen zu einem viel zu frühen Zeitpunkt durch.

Und zwar aus ebenfalls rein politischen Gründen: Weil er wusste, dass Frankreichs Zustimmung zur Wiedervereinigung anders nicht zu bekommen war. An den dadurch entstandenen Problemen leidet die Eurozone bis heute; ob und vor allem in welcher Form sie das überleben wird, ist noch immer ungewiss. Auch das ist Teil des Vermächtnisses des Helmut Kohl. Dass er nun im Rahmen eines Europäischen Staatsaktes verabschiedet wird, folgt deshalb einer bittersüßen Logik, die wohl niemandem so recht bewusst war.