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Wer A sagt, muss auch P(flegeversicherung) sagen

Von Wolfgang Moitzi

Gastkommentare
Wolfgang Moitzi war Bundesvorsitzender der Sozialistischen Jugend. Er ist SPÖ-Chef und Gemeinderat in Spielberg und kandidiert im Wahlkreis Obersteiermark für den Nationalrat. Foto: privat

Die Spielchen beim Pflegeregress zeigen, dass viele die Dimension des Pflegethemas nicht verstanden haben.


Unter dem Druck der Öffentlichkeit musste Sebastian Kurz beim Pflegeregress einlenken. Gut so. Es war höchste Zeit, diese Demenzsteuer abzuschaffen. Der Vorschlag lag seit einem halben Jahr auf dem Tisch. Dass es einen anstehenden Wahlkampf brauchte, um die Einsicht in eine sozialpolitische Selbstverständlichkeit zu erreichen, unterstreicht den Wert von Wahlen. Der Druck, der davon ausgeht, dass alle Menschen am Wort sind und nicht nur die Eliten, hat eine heilsame Wirkung auf die ÖVP, aber auch auf alle anderen Parteien.

Kein Wunder, dass im neoliberalen Meinungskonsens als "Wahlzuckerl" denunziert wird, was die ureigenste Aufgabe von Politik ist: die Lebensumstände von Menschen zu verbessern, die es nicht so leicht haben. Dass ÖVP und FPÖ gleichzeitig eine seriöse Gegenfinanzierung in Form einer gerechten Erbschaftsteuer verhindert haben, ist ein Wermutstropfen. Die ÖVP hat eine seriöse Gegenfinanzierung verhindert, zugunsten einer substanzlosen Schlagzeilenforderung, die laut Angaben der Sozialversicherung mehr kosten wird, als sie spart: die Fotos auf E-Cards.

Diese Spielchen zeigen, dass Kurz und viele andere die Dimension des Pflegethemas nicht verstanden haben. Denn die Pflege älterer Menschen ist die mit Abstand größte sozialpolitische Herausforderung der nächsten Jahre. Die Abschaffung der Demenzsteuer ist der erste, der Ausbau der mobilen Pflegedienste ein zweiter wichtiger Schritt. Doch es geht um noch mehr: In knapp zehn Jahren werden mehr als eine Million Österreicher älter als 75 Jahre sein, bis 2050 wird sich diese Dynamik weiter beschleunigen, die Zahl der Pflegebedürftigen wird rasant steigen.

Pflege gehört anständig bezahlt

Die 24-Stunden-Pflege trägt aktuell viel zur Entlastung des stationären Pflegesektors bei. Doch sie beruht darauf, dass wir anderthalb Augen vor Arbeitsbedingungen und -qualität überwiegend osteuropäischer Pflegekräfte zudrücken und trotz staatlicher Förderung Niedrigverdiener von dieser Möglichkeit ausschließen. Doch der wachsende Pflegesektor muss gute und stabile Arbeitsbedingungen bieten, nicht Lohndumping und Burn-out. Hier geht es auch um die Qualität der Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger. Pflege ist Schwerarbeit, die überwiegend von Frauen geleistet wird. Sie gehört anständig bezahlt, mit Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen, die der großen Belastung angemessen sind. Für diese Aufgabe braucht es geeignete Strukturen und ausreichende finanzielle Mittel. Mit substanzlosen Schlagzeilensprüchen à la "Fotos auf E-Cards" und budgetären Taschenspielertricks ist es da nicht getan.

Es braucht eine weitreichende Strukturänderung: Wir brauchen eine umfassende solidarische Absicherung für den Fall der Pflegebedürftigkeit. Pflegebedürftigkeit ist ein Risiko wie Krankheit, Unfall, Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit - lauter Risiken, für die es aus gutem Grund soziale Versicherungsleistungen gibt. Wir brauchen das auch für die Pflege, in welcher Form auch immer. Das ist kein Projekt, das von heute auf morgen umzusetzen ist. Gerade deshalb muss es jetzt angegangen werden.

Wir brauchen eine Strukturänderung auch deshalb, weil die Lastenverteilung für Pflege zwischen den Gebietskörperschaften die Gemeinden finanziell an den Rand der Leistungsfähigkeit bringt. Mit Finanzausgleich und Pflegefonds gibt es zwar zusätzliche Mittel, doch diese decken nur einen Bruchteil der anfallenden Kosten. Sie wirken wie ein Aspirin gegen Zahnschmerzen: Eine akute Hilfe in ärgster Not, aber das Loch im Zahn bleibt. Die Proteste der Länder über die unzureichende budgetäre Kompensation der Abschaffung der Demenzsteuer zeigen auf, wie knapp die Mittel sind.

Womit wir bei der Frage der Finanzierung sind: Der von manchen vorgeschlagene Weg, dies über die Umsatzsteuer zu lösen, ist sozial zutiefst ungerecht. Denn er trifft die Bezieher unterer Einkommen wesentlich stärker als Bezieher hoher Einkommen. Aus meiner Sicht sind drei Finanzierungsmodelle denkbar: Wir brauchen ein Versicherungsmodell, das Beiträge der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer vorsieht. Innovativ wäre, die Wertschöpfungsabgabe (Robotersteuer) zu testen und so auch Gewinne in die Finanzierung einzubeziehen. Bei einem steuerfinanzierten nationalen Pflegesystem würde der Einsatz vermögensbezogener Steuern wie der Erbschaftssteuer eine Gerechtigkeitslücke in Österreich gleich doppelt schließen helfen: bessere Leistungen durch ein gerechteres Steuersystem.

Egal, für welchen Weg man sich entscheidet: Die qualitätsvolle Pflege älterer Menschen wird in den nächsten Jahren nicht weniger, sondern wesentlich mehr Geld brauchen. Wer gleichzeitig, wie Kurz und HC Strache, davon spricht, die Staatsausgaben um 14 Milliarden Euro senken zu wollen, sollte so ehrlich sein zu sagen, dass er all jene, die nach einem Leben voller Arbeit unsere Solidarität brauchen, mitsamt ihren Angehörigen allein lassen will.