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Auf Gas gebaut

Von Wolfgang Schollnberger

Gastkommentare

Gastkommentar: Der Gazprom-Konzern und sein auf Schiefer ruhender Turm in St. Petersburg.


Reisende, die zur Sommersonnenwende und zu den berühmten "Weißen Nächten" oder aus sonstigen Gründen in die schöne Stadt St. Petersburg kommen, können die Baustelle der neuen Generaldirektion der mehrheitlich staatlichen russischen Gasfirma PAO Gazprom nicht übersehen. Viele werden dem himmelstürmenden Gazprom-Turm im Lakhta Center, der ja mit 462 Metern bald das höchste Gebäude Europas sein wird, staunend ihr "Ah!" und "Oh!" gezollt haben, vielleicht auch Bundeskanzler Christian Kern, der ja jüngst am vom russischen Präsidenten Wladimir Putin einberufenenden Internationalen Wirtschaftsforums in St. Petersburg teilgenommen hat.

Nicht allen westeuropäischen Bewunderern dieses Schauprojektes wird bewusst sein, dass sie durch ihre Gaseinkäufe diesen monströsen Turmbau finanzieren; die vielen am Bau beteiligten ausländischen Firmen wollen ja in Euro oder US-Dollar bezahlt werden. Die wenig verfestigten Marschsedimente, auf denen die meisten Gebäude der Stadt, oft durch Pfähle gestützt, ruhen – nicht umsonst wird St. Petersburg oft das "Venedig des Nordens" genannt –, können einen solchen Kolossalbau natürlich nicht tragen. Die 2080 Betonpfähle unter dem gewaltigen Gazprom-Turm sind in den härteren Vendian-Schiefern gegründet

Darin liegt nun eine beachtenswerte Ironie. Die Vendian-Schiefer sind nämlich mancherorts in Russland und im Baltikum öl- und gasführend und damit die sehr alten, wenn auch etwas (gas-)ärmeren Verwandten in der weltweit verbreiteten Familie derjenigen Gesteine, die massenhaft Schieferöl und Schiefergas liefern.

Die technologische Revolution, die es erlaubt, Öl und Gas aus Schiefern zu fördern, breitet sich von Nordamerika ausgehend seit 2008 um die ganze Welt aus. Sie hat seit 2014 ganz wesentlich zum Einsturz der Öl- und Gaspreise auf den Weltmärkten beigetragen. Gazprom ist davon schwerstens betroffen, da ja der Exportpreis für russisches Gas nach Europa zumindest zum Teil an den Ölpreis gebunden ist: Der europäische Importpreis für russisches Gas ist seit Mitte 2014 um zirka 55 Prozent gesunken, Gazprom konnte aber im Jahr 2016, trotz Tiefstand des Gaspreises, nur etwa 10 Prozent mehr Gas an Europa verkaufen als 2014.

Der niedrige Gaspreis wird auch in Zukunft dem Gazprom-Konzern schwer zu schaffen machen: Die Schieferevolution macht nämlich jetzt auch den Export von US-Gas als Flüssiggas (LNG) möglich. Der heutige Gaspreis in den USA beträgt 2,90 US-Dollar je Million Britisch thermal units (MBtu), im Vergleich liegt der deutsche Importpreis für Gas bei rund 5 Dollar je MBtu. Die Verflüssigung von Erdgas in den USA, der LNG-Transport nach Europa und die Rückwandlung zu Gas in Europa kann gewinnbringend um rund 4 Dollar durchgeführt werden, sodass es in Europa für 6,90 Dollar angeboten wird.

Damit kann LNG aus den USA derzeit (noch) nicht mit Pipelinegas aus Russland konkurrieren. Aber das auf Abruf bereitstehende US-Schiefergas LNG, zusammen mit gewaltigen Gasmengen aus anderen nicht-russischen Quellen (von Aserbaidschan über Katar, Nord-, West- und Ostafrika bis zum östlichen Mittelmeerraum), die zunehmend Europa überfluten werden, wird auf jeden Fall dazu beitragen, dass Europa für längere Zeit für russisches Gas nicht mehr als 5 bis 7 Dollar je Btu bezahlen wird.

Gazproms Flucht nach vorne

Weiters setzt Gazprom auch die in Folge des Pariser Klimaschutzabkommens zu erwartende weitere Zunahme im Gebrauch von erneuerbaren Energieformen zu. Und als ob das alles nicht genug wäre, erzwingt der immer nach Geld hungernde russische Staat jetzt von seinem Gazprom-Konzern eine gewaltigen Dividendenerhöhung – zu einer Zeit, in der die gegenwärtig gegen Russland verhängten Sanktionen Gazprom bei der Aufnahme internationaler Kredite behindern.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass Gazprom die Flucht nach vorne antritt, um seine Dominanz im europäischen Gasmarkt entlang der ganzen Gaswertkette (Gewinnung, Transport, Speicherung, Verkauf) weiter auszubauen und durch langfristige Verträge abzusichern. Zudem versucht Gazprom, der angespannten Finanzlage entsprechend, die dazu erforderlichen Projekte möglichst durch Investitionen anderer Firmen zu finanzieren.

Offenbar hat der Gazprom-Konzern in der OMV (zusammen mit BASF/Wintershall) dabei einen äußerst willigen und zahlungskräftigen Partner gefunden, der es ihm erlaubt, seine eigenen Finanzen zu schonen. Die "Wiener Zeitung" hat ausführlich über die wirtschaftlich und geopolitisch umstrittenen Projekte berichtet, die die OMV unter der Führung des vormaligen Wintershall-Managers Rainer Seele seit Mitte 2015 gemeinsam mit Gazprom angekündigt hat, zuletzt auch wieder beim Wirtschaftsforum in St. Petersburg: Im Bereich Gewinnung sind das die Projekte Urengoy Asset Swap (dort ist auch Wintershall engagiert), Juschno-Russkoje (auch dort ist Wintershall dabei) und die gemeinsame Erkundung von Gebieten im Iran.

Im Bereich Transport sind das Nord Stream 2 (unter anderem auch mit Wintershall) und eine noch nicht näher definierte Kooperation für koordinierende Aktivitäten zur Entwicklung einer Infrastruktur für Erdgaslieferungen nach Zentral- und Südosteuropa – das könnte eine Neuauflage von Nabucco-West sein, aber diesmal mit russischem Gas (was wird Bulgarien dazu sagen?).

Im Bereich Verarbeitung ist das die Kooperation mit Gazprom bei kleinerer LNG-Anlagen und einem kleinen LNG-Produktionsterminal an der russischen Schwarzmeerküste (Wo? Etwa im "russischen" Abchasien? Oder auf der "russischen" Krim?). Die bestehende Zusammenarbeit zwischen OMV und Gazprom in österreichischen OMV-Gasspeichern ist seit langem bekannt (ebenso, dass Gazprom in allen österreichischen Gasspeichern der RAG nach dem Erwerb der dortigen Wintershall-Anteile mit mehr als 50 Prozent beteiligt ist). Wenn ich Pressemeldungen der OMV und deren Bilanz richtig lese, hat die OMV für die genannten und weitere Gazprom-Projekte etwa 3,5 Milliarden Euro zum sofortigen Abmarsch nach Russland bereitstehen.

OMV-Strategie made in Russia?

All das deutet wohl darauf hin, dass die Strategie der OMV derzeit mehr in Moskau und St. Petersburg als in Wien geschrieben wird. Wird für die Kunden, Lieferanten, Beschäftigten, Pensionisten und Aktionäre der OMV, ja wird für Österreich dabei mindestens ebenso viel herausschauen wie für Gazprom und Russland? Oder finanziert die OMV ihren eigenen Untergang?

Monopole zerstören den Markt und resultieren immer in stark überhöhten Preisen für Käufer und maximale Macht und Gewinn für den Verkäufer. Wäre es nicht besser für die OMV, die 3,5 Milliarden Euro dazu zu verwenden, sich jetzt in einen modernen Energiebetrieb umzuwandeln, der neben Öl und Gas aus verschiedenen Ländern, zunächst verstärkt, bald aber ausschließlich erneuerbare Energieformen und Elektrizität anbietet?

Schiefergas hat wesentlich zum Einsturz der Öl- und Gaspreise auf den Weltmärkten und damit zur gegenwärtigen Schräglage des Gazprom-Konzerns beigetragen. Hoffentlich hält der Vendian-Schiefer unter St. Petersburg den Gazprom-Turm aufrecht.