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Ein großartiger Staatsmann

Von Heinz Fischer

Gastkommentare

Nelson Mandela - Erinnerungen und eine Würdigung zum 99. Geburtstag.


Im Zuge der Vorbereitungen auf den 100. Geburtstag der Republik Österreich am 12. November 1918 bin ich darauf gestoßen, dass Nelson Mandela, der leider schon verstorbene erste schwarze Präsident von Südafrika und Friedensnobelpreisträger, im selben Jahr Geburtstag hat wie unsere Republik, und zwar am 18. Juli 1918. Warum mit einer Würdigung noch 364 Tage warten - dachte ich mir -, wo ich doch so lebendige, persönliche Erinnerungen an Nelson Mandela habe und man auch den 99. Geburtstag eines großen Staatspräsidenten und Friedensnobelpreisträgers würdigen kann.

Mandela, der den Vornamen Nelson erst erhielt, als er in einer Methodistenschule lesen und schreiben lernte, wurde in einer angesehenen schwarzen Familie im Volk der Xhosa geboren. Als Neunjähriger verlor er seinen Vater, und der aufgeweckte, intelligente Knabe wurde vom Stammesoberhaupt der Thembu adoptiert. Er durfte gelegentlich an Stammesversammlungen unter Leitung seines Adoptivvaters teilnehmen und lernte dessen kluge Vorgangsweise bei der Lösung von Problemen und der Schlichtung von Streitfällen kennen.

Sein Schulbesuch verlief zufriedenstellend, und anschließend inskribierte er am Universitätscollege von Fort Hare, wo auch Schwarze zugelassen waren. Dort erfolgte seine Politisierung, und er lernte unter anderen Oliver Tambo kennen, den späteren Mitbegründer und Vorsitzenden des African National Congress (ANC), dem Mandela später als ANC-Präsident nachfolgen sollte. Er konnte die Ungerechtigkeit und die Diskriminierung, die sich aus der weißen Vorherrschaft ergab, nicht ertragen, aber sein politisches Vorbild war Mahatma Gandhi, der in Indien einen gewaltfreien (und letztlich erfolgreichen) Kampf gegen die britische Kolonialherrschaft geführt hatte.

Mandela lebte in den 1940er Jahren in Johannesburg und kam aufgrund seiner politischen Aktivitäten und seines zivilen Ungehorsams - ebenso wie Tambo - immer häufiger mit dem Gesetz in Konflikt. Als 1948 die strenge offizielle Apartheid-Politik eingeführt wurde, wurden auch die Auseinandersetzungen härter.

Erste schwarze Anwaltskanzlei

1952 gründete Mandela gemeinsam mit Oliver Tambo in Johannesburg die erste schwarze Rechtsanwaltskanzlei, um den bedrängten Aktivisten gegen die Apartheid auch juristischen Beistand leisten zu können, aber seine Zweifel wuchsen, ob man die von Polizei und Militär exekutierte Apartheid wirklich ausschließlich mit friedlichen Mitteln bekämpfen könne.

1960 kam es dann zum berüchtigten und berühmten Massaker von Sharpeville. Die südafrikanische Polizei versuchte eine große Demonstration unbewaffneter Schwarzer durch Schüsse in die Menge zu zerstreuen - am Ende lagen 69 Tote auf den Straßen. Das brachte eine Wende im Kampf gegen die Apartheid und auch in Mandelas Denken. Er verließ Südafrika, reiste durch zahlreiche andere afrikanische Staaten und studierte die Praktiken anderer Freiheits- und Widerstandsbewegungen. 1962 kehrte er nach Südafrika zurück und beteiligte sich erneut an verschiedenen ANC-Aktivitäten, ehe er verhaftet und vor Gericht gestellt wurde. Am 20. April 1964 hielt er seine berühmte dreistündige Verteidigungsrede unter dem Titel "Bereit zu sterben", die eine flammende Anklage gegen die Apartheid war. Wenig später wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt.

26 Jahre im Gefängnis

Tambo ging ins Exil nach London und kam in den 1970ern und auch noch in den 1980ern häufig auch nach Wien. Manchmal wurde er von Bruno Kreisky empfangen, aber meistens bat Kreisky mich, mit Tambo zu reden. "Reden" bedeutete, seine Berichte über aktuelle Entwicklungen in Südafrika entgegenzunehmen und einen Freund von der österreichischen Gewerkschaftsbewegung zu bitten, aus der Kasse der sozialistischen Gewerkschaftsfraktion einen kleinen Betrag als Spende für den Kampf gegen die Apartheid in Südafrika zur Verfügung zu stellen - eine Bitte, die nie unerfüllt blieb.

Bis 1990 saß Mandela 26 Jahre im Gefängnis, die längste Zeit davon auf der Gefängnisinsel Robben Island. Gegen Ende der 1980er erkannte Südafrikas damaliger weißer Präsident Willem de Klerk, dass die Apartheid nicht länger aufrecht zu erhalten war. In Mandela fand er einen Partner, um einen friedlichen Übergang zu einem Staat ohne Rassentrennung zu ermöglichen. Am 11. Februar 1990 wurde Mandela aus der Haft entlassen, und das ANC-Verbot wurde aufgehoben.

Als ich 1991 eine Einladung zu einem Besuch in Südafrika erhielt, nahm ich die Einladung unter der Bedingung an, auch Mandela besuchen zu können. Die Antwort lautete, man könne einen Termin mit Mandela nicht ins Besuchsprogramm aufnehmen, aber es gebe auch keine Einwände, sollte ich Mandela "privat" in einem ANC Büro besuchen.

So reiste ich im August 1991 zum ersten Mal mit meiner Frau nach Südafrika. Als wir Mandela in einem kleinen Büro in Johannesburg trafen, erzählte ich ihm, dass ich oft mit seinem Vorgänger Tambo zusammengetroffen war. "Ist das wirklich so, dass Sie Oliver Tambo gut kennen?" fragte er. Als ich das bejahte, stand er auf, öffnete eine Tür und rief Tambo herein, der in einem Nebenraum mit Thabo Mbeki ein Gespräch führte. Der alte Mann begrüßte mich freudig und sagte auf Englisch zu Mandela: "Das ist ein guter Mann, er hat uns immer geholfen. Es war nicht viel, was wir bekamen, aber es war enorm wichtig." Damit war das Eis gebrochen. Es folgte eines der interessantesten Gespräche, das meine Frau und ich jemals führen konnten.

Ein unvergessliches Ereignis

Nachdem Mandela am 9. Mai 1994 zum ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas gewählt worden war, erhielt ich eine Einladung zu seiner Inaugurationsfeier. Auch das war für meine Frau und mich ein unvergessliches Ereignis - umso mehr, als Mandela bei dem dieser Feier vorangehenden Frühstück für internationale Gäste den ebenfalls anwesenden Fidel Castro sowie meine Frau und mich in eine Nische des Raumes winkte und über seine Zeit auf Robben Island erzählte.

Als Mandela am 5. Dezember 2013 im 96. Lebensjahr verstarb, fand das Begräbnis zu einem Zeitpunkt statt, an dem ich zugesagt hatte, eine Rede zum 100. Geburtstag von Willy Brandt in dessen Heimatstadt Lübeck zu halten. Ich sah mich dadurch gezwungen, auf eine Teilnahme an Mandelas Beisetzung zu verzichten, und bat um eine entsprechende Vertretung. In manchen Medien gab es dazu kritische Bemerkungen - aber die größte Strafe bestand für mich ohnehin darin, das Begräbnis dieses großartigen Mannes versäumt zu haben.