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Nie wieder Finanzkrise?

Von André Tomfort

Gastkommentare

Gastkommentar: Warum sich die Chefin der US-Notenbank fatal geirrt haben könnte.


Vor kurzem machte die Chefin der US-Notenbank, Janet Yellen, eine bemerkenswerte Aussage: Auf einer Pressekonferenz in London sagte sie, dass sie nicht mehr damit rechne, in ihrem Leben nochmals eine schwere Finanzkrise wie im Jahr 2008 zu erleben. Sie begründete ihren Optimismus mit den Reformen des Finanzsystems und damit, dass die Banken jetzt krisenfest seien.

Können wir der Fed-Chefin wirklich glauben? Der Sturm der vergangenen Finanzkrise ist abgeebbt, und die Aktien- und Immobilienmärkte bewegen sich in einem langfristigen Aufwärtstrend. Dies ist nicht zuletzt der expansiven Geldpolitik von Yellen und ihren Kollegen in der Eurozone und in Asien zu verdanken. Knapp ein Jahrzehnt lang rekordtiefe Zinsen verfehlen ihre Wirkung an den Finanzmärkten nicht, und auch die globale Konjunktur hat seit einiger Zeit wieder an Fahrt aufgenommen. Trotzdem ist die Nervosität überall zu spüren, und viele Anleger fragen sich: "Wo stehen wir heute? Und wie sicher sind unsere Anlagen?"

Die Immobilienkrise 2008 und 2009 war kein Einzelfall

Gegen Yellens Auffassung spricht eine Reihe von Indizien. So war die Immobilienkrise in den Jahren 2008 und 2009 kein Einzelfall. In den vergangenen 20 bis 30 Jahren war eine zunehmende Häufung von Finanzkrisen zu verzeichnen: Japan 1990, der Dotcom-Crash 2000 und die jüngste weltweite Immobilienkrise seien als Beispiele genannt. Und jetzt? Die jüngsten Meldungen zu den Immobilienpreisen in New York, London oder Berlin lassen einen ungebremsten Drang zur Spekulation erkennen. Überall werden neue Rekordwerte erreicht. Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzte schon im Jahr 2014, dass die weltweiten Finanzrisiken wieder jenes Niveau erreicht hätten wie im Jahr 2007, also kurz vor dem Ausbruch der Finanzkrise.

Wie lässt sich eine Finanzkrise frühzeitig erkennen? Folgender Mix war historisch immer wieder beim Entstehen von Preisblasen zu beobachten: eine positive Konjunkturlage, eine expansive Geldpolitik und am Ende der Blasenbildung ein überbordender Optimismus, der sich in einer exzessiven Spekulation entlädt. Die ökonomische Sprengkraft einer solchen Preisblase entsteht jedoch erst, wenn sie mit einer starken Kreditexpansion einhergeht. Dann wird jene hohe Verschuldung in- und außerhalb des Finanzsektors aufgebaut, die nach dem Platzen der Blase zu hohen Kreditausfällen führt, die das Finanzsystem gefährden.

Sobald Gerüchte auftauchen, dass einzelne Kreditinstitute in Zahlungsschwierigkeiten seien, leihen diese einander kein Geld mehr. Nun geraten auch noch die gesunden Banken in Nöte, weil sie ihre auslaufenden Schulden nicht mehr refinanzieren können. Der Bankensektor kollabiert. Hinzu kommt, dass Unternehmen und private Haushalte ihre Verschuldung reduzieren müssen, was wiederum Investitionen und Konsum einbrechen lässt und eine scharfe Rezession auslöst.

Banken und andere Kreditinstitute haben im Finanzsystem jedoch eine wichtige Funktion: Sie sollen das Geld der Zentralbank nach Risiko- und Ertragsgesichtspunkten auf Unternehmen, private Haushalte und den Staat verteilen. Fallen sie aus, droht einer Volkswirtschaft der monetäre Infarkt. Das wissen natürlich auch Notenbanker und Regierungen, deshalb tun sie in einer solchen Krise alles, um den Finanzsektor zu retten. Selbst Steuergelder sind dann kein Tabu mehr.

In der Vergangenheit sind vor allem Manager von Banken und Hedgefonds für die schweren Finanzkrisen verantwortlich gemacht worden. Die Rolle der Zentralbanken wurde dagegen allenfalls in wissenschaftlichen Kreisen diskutiert. Dabei ist eine Preisblase ohne eine lange andauernde Phase niedriger Zinsen und hoher Ausweitung der Geldmenge kaum möglich, denn hohe Zinsen verderben die Freude an der Spekulation und machen Investitionen unattraktiv. Spätestens wenn die Kreditvergabe sich stark von der wirtschaftlichen Entwicklung entkoppelt, müsste die Zentralbank mit Zinserhöhungen eingreifen. Dann ist klar, dass die Kredite nicht in die Realwirtschaft fließen, sondern an die Finanzmärkte, und Spekulationen auslösen.

Die Notenbanken verlassen sich zu sehr auf die Inflation

Die führenden Notenbanken der Welt wollen jedoch dieser Argumentation nicht folgen. Sie glauben, dass die Wirtschaft inklusive des Finanzsektors im Gleichgewicht ist, solange die Inflation moderat bleibt. Mit ihrer an der Inflation ausgerichteten Geldpolitik würden sie automatisch auch das Finanzsystem stabilisieren, meinen sie.

Die Zentralbanken übersehen jedoch zweierlei: Erstens hat sich in den vergangenen Jahrzehnten die Inflation durch die Globalisierung und die damit einhergehende internationale Arbeitsteilung auch ohne Zutun der Geldpolitik stabilisiert. Die Notenbanken können sich also erlauben, die Wirtschaft viel großzügiger als früher mit Geld zu versorgen, ohne dass die Preise außer Kontrolle geraten. Zweitens laufen die Inflation der Konjunktur zeitlich nach und die Finanzmärkte der Konjunktur zeitlich voraus. Ehe also ein wirtschaftlicher Boom zu Inflationsdruck führt, hat sich die Preisblase längst vollständig entwickelt.

Aktuell hat sich das Wachstum der Geldmenge extrem weit vom realen Wirtschaftswachstum entfernt. Das gewichtete globale Wachstum des Sozialproduktes ist hinter jenem der realen Geldmenge zurückgeblieben (siehe Grafik). Gemessen wurden beide Größen auf Basis eines gewichteten Durchschnitts der USA, der Eurozone und Japans.

Vor dem Hintergrund, dass die Konjunktur an Fahrt aufgenommen hat, die Inflation moderat bleibt und die Preise an den Finanzmärkten trotz luftiger Bewertungen zulegen, befinden wir uns aktuell im Szenario einer sich anbahnenden Preisblase, die das Finanzsystem dieses Mal in den Abgrund reißen könnte. Am sichtbarsten ist das in den USA. Dort hat die Konjunktur an Schwung gewonnen, die Kredite wachsen erheblich schneller als das Sozialprodukt, die Immobilienpreise haben wieder das Niveau wie vor der Krise erreicht (siehe Grafik).

Bei einer neuen Krise dürften die Regulierungen kaum helfen

Sollte es zu einer erneuten Finanzkrise kommen, dann dürften die Regulierungen der Banken nur wenig helfen - anders, als Fed-Chefin Yellen glaubt. Die Ausstattung der Banken mit Eigenkapital hat sich zwar verbessert, reicht aber bei weitem nicht aus, um den Sturm einer Finanzkrise auszuhalten, der aus einem solchen Geldüberhang entstehen könnte. Hinzu kommt, dass sehr viele Finanzgeschäfte in die Schattenbanken gewandert sind, die nach wie vor in weiten Teilen unreguliert bleiben.

Eine genaue Prognose, ob und wann es zu einer erneuten Finanzkrise kommen wird, ist natürlich schwierig. Momentan ist das Niveau der Preise an den Immobilien- und Aktienmärkten noch ein Stück weit von jenem entfernt, das man für eine Preisblase erwarten würde (siehe hierzu www.preisblase-finanzkrise-warnsystem.com). Ähnliches gilt für das Ausmaß der Kreditexpansion. Aber in zwei bis drei Jahren könnte es so weit sein. Höchste Zeit für Yellen und ihre Kollegen in den Notenbanken, etwas zu unternehmen.

Zum Autor

André Tomfort

ist Professor für Finanzwirtschaft mit Forschungsschwerpunkt Finanzmärkte an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Er war nach einem Forschungsaufenthalt bei der UNO in New York zehn Jahre lang in der Finanzindustrie tätig.

Buchtipp:

André Tomfort: "Crash und Geldflut".
Goldegg Verlag; 350 Seiten;
24,90 Euro.