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Al-Sisi und der Terror

Von Markus Schauta

Gastkommentare

Gastkommentar: Ägyptens Militärführung will die Stabilität in ihrem Sinne wahren - mit allen Mitteln.


Ob die jüngste Messerattacke mit zwei deutschen Todesopfern im ägyptischen Badeort Hurghada etwas mit dem "Islamischen Staat" (IS) zu tun hatte, ist noch unklar. Zu zahlreichen anderen Anschlägen der vergangenen sechs Monate hat sich die Terrormiliz bekannt.

Ägypten hat ein Problem mit dem Terror. Seit Jahren gibt es immer wieder Anschläge, vorwiegend gegen Einrichtungen der Regierung, gegen Soldaten, Polizisten und hohe Beamte. Aber auch Touristen wurden zum Ziel, wie etwa ein vereitelte Selbstmordangriff beim Karnak-Tempel im Juni 2015 zeigte. Auch im Norden der Sinai-Halbinsel kehrt keine Ruhe ein. Der dort aktive Ableger des IS hat bei Auseinandersetzungen mit dem ägyptischen Staat bereits hunderte Polizisten und Soldaten getötet.

Nach der Attacke auf einen koptischen Bus im Mai, bei der 29 Menschen ums Leben kamen, betonte Bundeskanzler Christian Kern das gemeinsame Vorgehen mit Ägypten gegen den Terrorismus. Doch wie sieht er aus, der Kampf des ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi gegen den Terror?

Im Neusprech der ägyptischen Regierung meint "Terrorismus" längst nicht mehr nur die Aktivitäten bewaffneter Gruppen. Terror ist alles, was die Stabilität des Staates gefährdet. Und Stabilität ist in Al-Sisis Augen das uneingeschränkte Schalten und Walten seiner Regierung. Kritische Berichte in Zeitungen und Aktivisten auf der Straße, Anprangern von Korruption und Misswirtschaft; all das gefährdet jene Stabilität. Das Ergebnis: etwa 60.000 politische Gefangene, die zurzeit in Ägyptens Gefängnissen sitzen, viele von ihnen ohne Anklage oder Prozess. Laut Human Rights Watch wurden seit Oktober 2014 rund 7400 Zivilisten vor Militärgerichte gebracht. Folter stehe in den Militärgefängnissen an der Tagesordnung, heißt es.

Im Zuge des im April verhängten und im Juni auf weitere drei Monate verlängerten Ausnahmezustands wurden im vergangenen Mai 21 Websites gesperrt. Der Vorwurf: Sie würden Terrorismus und Extremismus unterstützen und Lügen publizieren. Betroffen war unter anderen die unabhängige Website Mada Masr (www.madamasr.com), die sich immer wieder kritisch gegenüber der Regierung geäußert hatte. Auf dem Index von Reporter ohne Grenzen belegt Ägypten Platz 161 von 180. Ägyptens Kampf gegen den Terror ist kein gezieltes Vorgehen gegen bewaffnete Gruppen. Es ist ein Kahlschlag in der Gesellschaft, der alle trifft, die nicht in Al-Sisis Jubelpatriotismus einstimmen.

Staat provoziert Radikalisierung

Vernünftige Opposition auf parteipolitischer Ebene ist kaum möglich. Um sich politisch zu artikulieren, bleibt den jungen Ägyptern meist nur die Straße. Und auch hier sind Versammlungs- und Demonstrationsrecht massiv eingeschränkt. Dadurch provoziert der Staat weitere politische Radikalisierung. Indem Sicherheitskräfte ohne Unterschiede alle Islamisten als Terroristen behandeln, tragen sie mehr zum Ansteigen der Gewalt bei, als sie diese verhindern. Laut einem Bericht des European Council on Foreign Relations vom Juni 2017 sind seit dem Jahr 2014 etwa ein Dutzend neuer militanter Gruppen und Netzwerke entstanden, von denen sich einige bereits zu diversen Bombenanschlägen und Attentaten bekannt haben. Auch der mutmaßliche Täter beim Bombenanschlag in der koptischen Kathedrale in Kairo im Dezember 2016 soll früher ein Unterstützer von Ex-Präsident Mohammed Mursi gewesen sein. Während seiner Haft im Jahr 2013 wurde er im Gefängnis gefoltert.

Blauäugige Sicht: Al-Sisi als Garant für Stabilität

Al-Sisis Kampf gegen den Terror ist vor allem eines: ein Kampf um den eigenen Machterhalt. Seine Erfolgschancen sind gut. Auf dem internationalen Parkett ist er ein gerne gesehener Gast - egal, ob es um die Ausrottung der Muslimbrüder geht, das Dichtmachen der Küsten nach Europa oder neue Waffendeals zur Aufrüstung des ägyptischen Militärs.

Al-Sisi als Garant für Stabilität in Ägypten zu sehen, kann allerdings nur gelingen, wenn man vor vielen Entwicklungen im Land am Nil die Augen verschließt. Der Kommentar von US-Präsident Donald Trump bei seinem Treffen mit Al-Sisi in Riad gibt das wohl am treffendsten wieder: "Ich liebe Ihre Schuhe. Junge, diese Schuhe. Mann . . ."

Ja, Ägypten hat ein Problem mit dem islamistischen Terrorismus. Nein, die Wirtschaftskrise traf Ägypten nicht erst unter der Präsidentschaft von Al-Sisi. Und ob der geputschte Mursi der bessere Präsident gewesen wäre, bleibt zu bezweifeln. Auch wird man Al-Sisi nicht alleine für die Misere verantwortlich machen können. Die verschiedenen Pole - Polizei, Geheimdienste, Militär - fordern alle ihren Anteil an der Macht im Land, was auch die Durchgriffsmöglichkeit des Präsidenten einschränkt.

Der EU muss aber klar sein, dass Ägypten in seiner derzeitigen Verfasstheit kein verlässlicher Partner gegen den Terror sein kann. Die Instrumentalisierung des Antiterrorkampfes zum eigenen Machterhalt der Regierung trägt vielmehr dazu bei, das Problem noch zu vergrößern.

Markus Schauta ist freier Journalist, seit 2011 berichtet er aus Kriegs- und Krisengebieten des Nahen Ostens.