Zum Hauptinhalt springen

Symptomträger und Garanten des Bestehenden

Von Wolfgang Gratz

Gastkommentare
Wo die Macht zuhause ist: Die Kabinette in den Ministerien sind die Drehscheiben zwischen Ressortleitern und Beamten. (Im Bild der Audienzsaal des Bildungsministeriums.)
© Pechar

Die Zahl der Kabinettsmitarbeiter in den Ministerien wächst stetig. Sie sind den Sektionschefs nicht vorgesetzt, es besteht jedoch ein asynchrones Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeiten, das auch Konfliktpotenzial birgt.


Wenn auch derzeit völlig offen ist, welche Personen Österreich in den kommenden Jahren und in welcher Weise regieren werden, eines ist leicht zu prognostizieren: Die Ministerkabinette werden in unserem politisch-administrativen System weiterhin eine zentrale Rolle spielen. Man bezeichnet damit die Stabsstellen, die die Bundesminister in ihrer Amtsführung und in ihrem Außenauftritt persönlich unterstützen.

Die Zahl der Kabinettsmitarbeiter steigt tendenziell: von 147 im Jahr 2007 auf 165 im Vorjahr, dazu 38 Pressesprecher sowie rund 100 Sekretariatskräfte und Assistenten. Bereits 2009 wurden die jährlichen Kosten der Kabinette auf rund 15 Millionen Euro pro Jahr geschätzt.

Die Kabinette sind die zentralen Drehscheiben für Informationen, Arbeitsprozesse und Entscheidungen zwischen Ressortleitern und Beamtenschaft. Je mehr sich Bundesminister auf ihre Außenwirkung konzentrieren und je weniger sie ihr Ressort als oberste Führungskraft aktiv leiten, desto einflussreicher und bedeutsamer werden die Kabinette.

Eigenleben in der Verwaltung

Eine von mir dazu durchgeführte Studie aus dem Jahr 2012 ergab sehr unterschiedliche Rollenverständnisse von Kabinettschefs wie auch von Kabinettsmitarbeitern. Diese sind zumeist jung an Lebensjahren und kommen aus der Verwaltung, aus Partei(Vorfeld-)Organisationen, Interessenvertretungen sowie aus der Wirtschaft.

Formal sind sie bloß Sprachrohr des Ministers oder der Ministerin ohne Vorgesetztenfunktion gegenüber den Sektionschefs und anderen Beamten. Tatsächlich zeigen sie in der Steuerung der Administration ein Eigenleben. Es ist für Minister faktisch nicht möglich, die einzelnen Aufträge und Hinweise, die seine zahlreichen Kabinettsmitarbeiter erteilen, im Detail zu überblicken. Insofern steht das Wirken der Kabinette rechtlich gesehen auf ziemlich wackeligen Beinen, und dies in einem Land, in dem im Allgemeinen an Rechtsvorschriften kein Mangel besteht.

Das Verhalten der (Spitzen-)Beamtenschaft ist geprägt vom Wissen, dass die Kabinette in ihr eigenes berufliches Schicksal massiv eingreifen können. Änderungen der Geschäftsverteilung können ihre Karrieren beenden oder auch befördern. Zudem: Spitzenbeamte haben Fünf-Jahres-Verträge und wollen im Regelfall wiederbestellt werden.

Wechselseitige Abhängigkeit

Wer hohe Macht hat, kann sich mit kleinen Gesten begnügen. Der Alltag an den Nahtstellen zwischen Politik und Verwaltung verläuft daher zumeist undramatisch und eher subtil. In der Praxis haben informelle Prozesse eine hohe Bedeutung.

Dem politischen Informationsvorsprung und den Machtmitteln der Kabinette steht ein gewisses Informationsmonopol der Beamtenschaft (Prozedere und Inhalte der Verwaltungsführung) gegenüber. Es besteht somit ein gewisses "Gleichgewicht des Schreckens". Die wechselseitigen Abhängigkeiten stabilisieren das politisch-administrative System.

Internationale Studien zeigten, dass in den vergangenen Jahrzehnten das selbst- und durchaus auch machtbewusste Auftreten von Spitzenbeamten ("Tell truth to power") erkennbar einer höheren Geneigtheit und Anpassungsbereitschaft gegenüber politischen Steuerungsimpulsen ("responsivity") gewichen ist.

Bei Spitzenbeamten besteht eine relativ hohe Toleranzschwelle gegenüber dem Verhalten von Kabinettsmitgliedern. Wenn diese ausnahmsweise überschritten wird, überwiegen eher subtile Taktiken als offene Formen der Konfliktaustragung. An der Spitze der Eskalationsleiter steht das Einfordern formeller Abklärungen, so durch schriftliche Weisungen.

Inzwischen gibt es in allen Kabinetten eine an der Aufbauorganisation des jeweiligen Ministeriums orientierte Aufgabenteilung. Man bezeichnet dies als "Spiegelung". Die Tätigkeit der Kabinette erstreckt sich bis in Detailfragen in den Niederungen der Verwaltung. Befragt man Beamte, die in eher untergeordneten Funktionen tätig sind, berichten mehr als 80 Prozent, dass sie in ihrer Arbeit Aktivitäten von Ministerkabinetten unmittelbar wahrnahmen, wobei der Großteil dies als negativ erlebt.

Es entsteht das Bild eines Spielfeldes, dessen Grenzen verschwommen sind, in dem verschiedene Spiele gespielt werden, deren Regeln aus Gewohnheiten bestehen, die aus den Spielzügen der Akteure erwachsen. Die Steuerung der Verwaltung erfolgt in einem Modus, der für Beobachter verschwommen und mehrdeutig erscheint, für die Akteure jedoch ein vertrautes Routinegeschäft darstellt.

Die Akteure, auch Juristen, treten den Beweis an, dass ein rechtlich wenig determiniertes soziales System hohe Stabilität aufweisen kann. Zudem operiert das Regierungssystem gemessen an offiziell propagierten Public-Management-Ansprüchen ohne deren Eindeutigkeiten und Klarheiten.

Machtspiele überwiegen

Im internationalen Vergleich ragt Österreich nicht nur mit seiner Grauzone, in der die Kabinette operieren, hervor, sondern auch in dem hohen Ausmaß von Partei-Politisierung des öffentlichen Dienstes wie auch der Fraktionen der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst und der Personalvertretungen. Dies ergibt eine Gemengelage, in der traditionelles Verwaltungsdenken, Managerialismus und politische Taktiken ein geschäftiges Treiben ergeben, in dem langfristige Ziele wie auch das rechtzeitige Erkennen von krisenhaften Entwicklungen nur allzu leicht zu kurz kommen.

Machtspiele und komplizierte Abstimmungsprozesse zwischen den zahlreichen Akteuren überwiegen im Gegensatz zu inhaltlichen Fragestellungen. Dies gilt auch für das Verhältnis zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Man ist so sehr mit sich und untereinander beschäftigt, dass kaum Platz bleibt für Bürgerbeteiligung oder produktive Zusammenarbeit mit NGOs und NPOs. Die Kabinette sind in diesem Zusammenhang sowohl Symptomträger wie Garanten des Bestehenden.

Was sollte geschehen? Bloße formelle Regelungen haben nur eng begrenzte Wirkungen. Seit 1989 gibt es rund 40 Novellen des Ausschreibungsgesetzes, das die Besetzung von Verwaltungspositionen regelt. Ob dies zu einer tatsächlichen Erhöhung der Qualität und Akzeptanz von Personalentscheidungen geführt hat, ist ziemlich fraglich.

Ein anderer Ansatzpunkt könnte sein, Formen und Räume des Dialogs zwischen Verwaltung und Politik, des gemeinsamen Überlegens und des Diskurses einzurichten und zu gestalten. Hieraus könnte die Bereitschaft erwachsen, ausländische Modelle, in denen die Nahtstellen zwischen Politik und Verwaltung transparenter und besser formalisiert gestaltet sind, genauer anzuschauen.

Spezifische Ausbildung

Es könnte aber auch darüber nachgedacht werden, ob Österreich so etwas Ähnliches wie die französische École Nationale d’Administration (ENA) gebrauchen könnte, aus der nicht nur administrative, sondern auch politische Spitzenkräfte hervorgehen.

In Österreich könnten Spitzenfunktionen in der Verwaltung und in Kabinetten, aber auch in anderen Bereichen daran gebunden sein, dass man eine qualifizierte Ausbildung auf akademischem Niveau absolviert hat. In dieser Form der Bildung von Eliten sollte nicht die Wissensvermittlung im Vordergrund stehen, sondern das wissenschaftlich unterstützte, gemeinsame Arbeiten an Analysen und Projekten.

Jedenfalls bräuchte es auch einen New Deal des Regierens. Wer einen solchen will, kommt um eine kritische und zugleich entwicklungsorientierte Auseinandersetzung mit unseren Ministerkabinetten nicht herum.

Wolfgang Gratz ist Experte für empirische Verwaltungsforschung. Aus dem Jahr 2012 stammt seine Studie "Zur Ausgestaltung der Nahtstellen zwischen Politik und Bundesverwaltung in Österreich".

Hier ist eine Kurzversion der Studie zu den Ministerkabinetten downloadbar.