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Rekrutentod

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien. Foto: Daniel Novotny

Das Heer lebt in einer Zeitblase.


Da muss ein junger Mensch sterben, weil einige Militärs meinen, Rekrutenausbildung bedeute, Leute schinden bis sie umfallen. Der Tod des 19-jährigen Grundwehrdieners Toni P. bei einem Gewaltmarsch am heißesten Tag des Jahres - ein nach derzeitigem Wissensstand fahrlässiger Tod hat die Zustände im Bundesheer an die Öffentlichkeit gerückt.

Warum aber werden junge Leute nicht ausgebildet, sondern schikaniert?

Die Armee war jahrhundertelang die Disziplinarinstitution. Also jene Institution - neben Schule, Fabrik und Gefängnis -, deren Ziel es war, nicht nur Können zu vermitteln, sondern die Individuen auch zu unterwerfen. Es war Michel Foucault, der gezeigt hat, dass Disziplinierung nicht nur der Einübung in praktische Fertigkeiten diente, sondern auch dem Einfügen von Menschen in eine institutionelle Ordnung. Genauer gesagt: Es ging darum, die Körper gefügig zu machen. Es waren Machtpraktiken, um nützliche, funktionierende Massenindividuen zu erzeugen. Im 18. Jahrhundert.

Seitdem aber haben sich die Institutionen verändert. Man kann das - optimistisch - als Fortschritt verstehen, pessimistisch als das Aufkommen neuer Unterwerfungsformen. In jedem Fall aber wurden disziplinierende Unterwerfungspraktiken zurückgedrängt - durch Rechte der Auszubildenden, durch Pädagogik.

Und nun, in einer Zeit, wo die Menschen sich sogar der Selbstverpflichtung in Massenparteien entziehen. In einer Zeit, wo die alten Politikformen für Massenindividuen abdanken zugunsten von Formen für die individualisierten Einzelsubjekte, die wir sind. In solchen Zeiten zeigt sich, dass im österreichischen Heer die Uhren offenbar anders ticken. Hier herrscht eine Parallelordnung, wo alte Machtregime nicht nur konserviert, sondern einen pervertierten Eigenlauf bekommen.

Wir haben das in den letzten Jahren schon bei der Kirche ebenso wie bei den Kinderheimen gesehen: alte hierarchische Institutionen, die in neuen Zeiten wie Enklaven überleben. Leerlaufende Institutionen, die ihren alten Zweck als dessen Pervertierung aufrechterhalten. Die Kirche, wo der gute Hirte, der die Gläubigen leiten soll, zum Kinderschänder wird. Die Kinderheime, die Waisen ein Zuhause bieten sollten, wo Missbrauch aller Art gedeiht. Und nun das Heer, dessen Aufgabe der Feindbekämpfung sich nun gegen die eigenen Rekruten wendet.

Jedes Mal, wenn in den letzten Jahren das Licht der Öffentlichkeit auf das fiel, was da in der Abgeschiedenheit dieser Zeitblasen "blühte", offenbarte sich dasselbe: das Kippen ehemals - vielleicht - nützlicher Praktiken in sadistische Machtpraktiken.

In so einer Situation stellt sich der Verteidigungsminister hin und meint, man werde Einzelfälle ahnden. Die Frage, die die Öffentlichkeit jetzt aber stellen muss, lautet: Sind das tatsächlich Einzelfälle oder sind solche Umgangsformen gang und gäbe? Strukturell? Hans-Peter Doskozil, der bei seinen öffentlichen Auftritten dieser Tage kaum Mitgefühl für den Toten vermitteln konnte. Der dafür den Polizist mit Corpsgeist gab, durchdrungen von hierarchischen Institutionen. Dieser Doskozil soll nun Initiator jener grundlegenden Reformen sein, deren das Heer so dringend bedarf?