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Konflikt durch Klimawandel

Von Kurt Bayer

Gastkommentare

Gastkommentar: Die Folgen der Erderwärmung sind längst auch bei uns in Österreich spürbar.


Die heurigen Gewitter, Überflutungen, Murenabgänge und Trockenheiten zeigen auch dem verbohrtesten Österreicher, dass die Folgen des Klimawandels auch bei uns angekommen sind. Das eklatante Beispiel der Probleme der Autoindustrie durch den Dieselabgasskandal, vor allem in Deutschland, das sich so lange mit Slogans wie "Vorsprung durch Technik" oder "umweltbewusstes Fahren" als Grüne-Technik-Nation Nummer eins rühmte, zeigt auch den Autoliebhabern, dass es nicht nur um das ferne Abschmelzen von Grönlandeis, die Gletscherschmelze und Probleme in Afrika und Asien geht, sondern dass der Klimawandel tatsächlich uns alle betrifft, und zwar zunehmend massiv.

Die Politik steht dem, trotz der Selbstbelobigung für das Pariser Klimaabkommen, weitgehend hilflos, ja vielfach als Komplizin gegenüber. Beispiele gefällig? Die steuerliche Bevorzugung von Dieseltreibstoff, die dazu geführt hat, dass in Deutschland und Österreich die Hälfte der neuzugelassenen Fahrzeuge Dieselantrieb haben und damit mit Stickoxiden und Feinstaub nicht nur Kleinkinder in ihren Kinderwägen auf Auspuffhöhe, sondern alle Stadtbewohner gesundheitlich schädigen. Oder die Tatsache, dass ein früherer deutscher Bundeskanzler nun Lobbyist der Öl- und Gasindustrie ist, dass ein früherer deutscher Verkehrsminister Cheflobbyist der Autoindustrie wurde, dass auch in Österreich Politiker fast aller Parteien ihre schützende Hand, vollgestopft mit Subventionen, über die Autoindustrie und deren Verbrennungsmotorenmanie halten, gestützt durch Medien aller Art, die mit Autobeilagen und bevorzugten TV-Übertragungen von Auto- und Motorradrennen ebenfalls zu Lobbyisten dieser die Städte veröden lassenden Technologie geworden sind. Oder das fast einhellige Urteil der österreichischen Politiker, das Urteil des Verwaltungsgerichtes gegen die dritte Startbahn für den Wiener Flughafen anzugreifen.

Erst ein Gericht hat in Stuttgart die Politik zum Handeln aufgefordert: nämlich aufgrund der Umweltverschmutzung selektive Fahrverbote, vor allem für alte Dieselmotoren, zu erlassen, um die Bevölkerung zu schützen. Und ein Gericht hat die dritte Startbahn in Wien-Schwechat (vorläufig) verboten, nicht die Politik.

Die Politik versteckt sich

Bei all den genannten Beispielen wird immer wieder das Arbeitsplatzargument dafür herangezogen, dass im Zweifelsfall wirtschaftlichen Interessen vor jenen für eine bessere Umwelt der Vorzug gegeben werden müsse. Diese letzten Entwicklungen sollten jenen die Augen öffnen, die meinen, man könne alle potenziellen Konflikte zwischen Ökologie, Ökonomie und Sozialem in "Synergien" verwandeln; man könne also ohne Verhaltensänderungen, hauptsächlich mit technischen Lösungen (wie "Geo-Engineering") den Lebensstil der reichen Länder weiterführen. Als ob dieser "Lebensstil", diese Art zu wirtschaften und zu leben, nicht genau jene Klima- und Umweltprobleme hervorgerufen hätte, unter denen wir alle zunehmend leiden.

Die Politik ahnt diese gravierenden Konflikte - und versteckt sich bisher. Seien es Verteilungskonflikte, wo man "einigen etwas wegnehmen muss, um anderen mehr geben zu können", seien es Umweltkonflikte, wo es um andere Siedlungsformen, anderes Mobilitäts- und Wohnverhalten, Konsumänderungen, ja vielleicht um das Schlachten der heiligen Kuh "Wirtschaftswachstum" (in der bisherigen Form) gehen muss - all diesen umwälzenden Entscheidungen geht die Politik aus dem Weg, um nicht die Finanzmärkte zu beunruhigen, um nicht das scheue Reh namens Kapital zu vergrätzen, um nicht die satten Bürger aufzurütteln.

Wir müssen uns - im Sinne einer Sicherstellung der längerfristigen Zukunft - vermehrt grundsätzlichen Fragen und Entscheidungen stellen. Den Kopf unter das Kopfkissen zu stecken, löst die Probleme nicht. Die Schönredner unter den Politikern, die uns eine heile Welt von "weiter so wie bisher" vorgaukeln wollen, sollten wir in diese schöne heile Welt schicken und sie von jenen ablösen lassen, die uns reinen Wein über die Probleme einschenken, Lösungsoptionen mit uns diskutieren und auch konfliktträchtige Entscheidungen vorbereiten - und diese dann umsetzen.

Mehr von allem und weiter so wie bisher - das geht nicht mehr. Die Wahrheit ist uns zumutbar.

Zum Autor

Kurt Bayer

ist Ökonom. Er war Board Director in Weltbank (Washington) und EBRD (London) sowie Gruppenleiter im Finanzministerium.