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Vom Politikmuffel zum Staatsallergiker

Von Walter Fremuth

Gastkommentare
Walter Fremuth war unter anderem Vizegouverneur der Postsparkasse, Generaldirektor des Verbunds und ist Honorarprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien.
© kk

Wenn ich auch schon sehr alt geworden bin (im 86. Lebensjahr), so habe ich doch noch immer nicht abgeschaltet oder vielleicht den Standpunkt bezogen, dass "eh alles wurscht" wäre. Was mich zunehmend beschäftigt, ist ein mir unverständliches Verhalten vieler Menschen. Konkret war ich einmal eingeladen, einen Vortrag über Wirtschaftspolitik zu halten, und tat das, wie üblich, nach meiner Überzeugung, ohne parteipolitische Anmerkungen, aber mit kritischen Akzenten. Neben zustimmendem Applaus sprang eine betagte Dame auf mit den lauten Worten: "Das ist ja politisch, das muss ich mir nicht anhören!"

Von dieser Menschengruppe, der ich selbst seit vielen Jahren angehöre, wurde ich nie wieder zu meinen Wissensgebieten Rechtswissenschaften und Ökonomie zu einem Referat eingeladen. Ich gebe mein Wort: Nichts war parteipolitisch; aber gibt es denn Wirtschaftspolitik ohne Politik als Einwirken des Staates und seiner Unterverbände bis hin zu den Sozialpartnern in die Wirtschaft?

Das bringe ich als anschauliches Beispiel, mir begegnet diese Einstellung zur Politik immer häufiger; auch in kleinem Kreis und auch in Dialogen. Also gibt es wohl so etwas wie Politikmuffel, oder irre ich und nehme vielleicht pars pro toto? Denkt denn diese Schar von Mitmenschen nicht mehr, dass Politik das Planen, Entscheiden und Wirken unserer Gemeinschaft, unserer Gesellschaft ist? Bedenken diese Mitbürger nicht, dass es Zeiten gab, als die Menschen froh gewesen wären, wählen (und damit auch abwählen) zu können? All das zeigt wohl den Verlust von Gemeinsinn, womit der Menschheit überhaupt hunderttausende Jahre lang das Überleben ermöglicht wurde.

Da kommt mir als Gegenbeispiel unsere Damenfußballmannschaft in den Sinn. Zwar bin ich weder Experte noch wirklicher Fußballfan - aber ich sah mir zwei Spiele des ÖFB-Damenteams im Fernsehen aus Interesse an. So etwas von Teamgeist, Zusammenhalt und abgestimmtem Zusammenwirken von Menschen muss man gesehen haben und sich daran ein Beispiel nehmen, und zwar nicht nur die weitaus besser bezahlten männlichen Fußballer. Wir alle sollten von diesem unbedingten Gemeinsinn lernen. Und das heißt Erfolg haben. Da waren keine schauspielbegabten Ich-AGs zu sehen, sondern die ganze Mannschaft war beseelt von einem von mir sonst oft vermissten Gemeinsinn.

Nun verstehe ich sehr wohl, dass man mit der Politik dieser oder jener Partei unzufrieden, von ihr enttäuscht oder über sie verärgert ist. Auch mir geht es so. Auch, dass man mit keiner der zur Wahl stehenden Parteien einverstanden ist. Dann sollte man aber trotzdem zur Wahl gehen und den Stimmzettel einfach durchstreichen - das wäre ein Signal für die Politik insgesamt und würde wohl nicht ohne Konsequenzen bleiben.

Wir alle sind der Staat

Die Krone jedoch setzt dem Ganzen die offenbar zunehmende "Staatsverdrossenheit" auf bis hin zu einer (Polit-)"Staatsallergie". Damit meine ich, dass mir, wenn die Sprache auf das Wirken des Staates, auf seine Funktionen und vor allem auf seine Funktionsträger - gewählte, ernannte oder angestellte - kommt, vielfach mehr oder minder nachdrücklich mit Ablehnung des Themas, mit Unwillen begegnet wird. Dass mehr oder minder ernstes Fehlverhalten einzelner Funktionsträger schlichtweg verallgemeinert wird. So werden der Staat und seine Unterverbände verteufelt.

Offensichtlich wird dabei vergessen, dass wir alle der Staat sind und ohne diesen ein Überleben für uns nicht möglich ist. Dazu beitragen mag, dass etliche Medien (online und offline) dem Leitspruch huldigen: "There are no better news than bad news." Uns ist aber doch von der Natur zum Überleben ein kritischer Verstand mit auf den Weg gegeben.

Die Leser dieser Zeilen mögen nun meinen, weil ich unter anderem auch pensionierter Bundesbeamter bin, wäre ich ein Staatsfetischist. Nein, das bin ich wirklich nicht! Aber ein kritisch denkender Mitbürger, der bin ich.