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Klassen-Krampf im Klassenzimmer

Von Christian Ortner

Gastkommentare
Christian Ortner.

Nicht dass Politiker ihre Kinder in Privatschulen schicken, ist problematisch - sondern, dass sie die Gründe dafür nicht offen benennen.


Wenn Spitzenpolitiker dabei betreten werden, dass sie ihren Nachwuchs in private Schulen schicken, statt die Leistungen des staatlichen Schulwesens in Anspruch zu nehmen, jault die öffentliche Meinung jedes Mal verlässlich auf. Das muss derzeit die sozialdemokratische Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, recht schmerzhaft zur Kenntnis nehmen; und das stößt auch in Österreich verlässlich fast jedem Mitglied der politischen Klasse zu, der das wagt.

Nun ist es vorerst durch und durch verständlich, dass Eltern, egal ob sie Politiker oder sonst was sind, einige Anstrengungen unternehmen, ihren Kindern die bestmögliche Ausbildung zu verschaffen. Das wird man auch einem Regierungsmitglied nicht zum Vorwurf machen können.

Dass das Mittel der Wahl in Deutschland oder Österreich sehr oft Privatschulen sind, hat einen simplen Grund. Weil etwa eine private Volksschule in Wien bei Ganztagsbetreuung doppelt so viel kostet wie eine staatliche Schule, sind in diesen Privatschulen nur sehr wenige Kinder anzutreffen, deren Umgangssprache nicht Deutsch ist (wenn man von ein paar Expat-Kids absieht). In den öffentlichen Volksschulen hingegen sprechen in Wien bereits rund 50 Prozent aller Kinder zu Hause nicht Deutsch, sondern Arabisch, Türkisch oder andere Sprachen. In Niederösterreich ist die Lage sogar teilweise noch dramatischer. In Wiener Neustadt etwa weisen nur noch vier von zehn Volksschulen eine Mehrheit deutschsprachiger Kinder aus, in den anderen hingegen pflegen mehr als 50 Prozent eine andere Umgangssprache als Deutsch. Man muss kein Spitzenpädagoge sein, um zu erkennen, was das für von Geburt an deutschsprachige Kinder in öffentlichen Schulen bedeutet: Ihr Lernfortschritt wird deutlich gehemmt, wenn sich so viele Mitschüler mit anderen Umgangssprachen schwertun, dem Unterricht auch nur einigermaßen zu folgen.

Diesen Zusammenhang mag natürlich kein Politiker, und schon gar kein Regierungspolitiker, zugeben - und das ist das eigentliche Ärgernis. Stattdessen erzeugen sie die Fiktion, Schulen wären völlig unabhängig davon, ob sie privat oder staatlich betrieben würden, völlig gleichwertig in der Ertüchtigung der ihnen anvertrauten Kinder. Und sie bestreiten nachhaltig, dass sich einkommensstärkere Eltern - wie etwa die meisten Politiker - eine etwas bessere Ausbildung für ihre Kinder kaufen können. Was leider ein Vollholler ist, wie man das jetzt nennt.

Dieses Auseinanderklaffen von Schein und Wirklichkeit ist auch in anderen ganz wichtigen Bereichen zu beobachten: Natürlich kann man sich als Privatpatient oft eine bessere medizinische Versorgung erkaufen als der gemeine Kassenpatient, weshalb ja auch immer mehr Personen Privatärzte in Anspruch nehmen. Und natürlich wird später eine höhere Pension haben, wer heute die Dienste einer privaten Pensionsversicherung in Anspruch nimmt.

Das ist alles auch nicht weiter tragisch, wenn die staatliche Basisversorgung mit Bildung, Medizin und Altersvorsorge einigermaßen klappt. Ärgerlich ist aber, wenn die Politik die haarsträubende Fiktion erzeugt, es gäbe da gar keine Zwei-Klassen-Gesellschaft - und damit die Intelligenz der Wähler verhöhnt.