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Deutschlands gewagtes Votum

Von Stefan Haderer

Gastkommentare
Stefan Haderer ist Kulturanthropologe und Politikwissenschafter. Alle Beiträge dieser Rubrik unter: www.wienerzeitung.at/gastkommentare

Falls Angela Merkel erneut Kanzlerin wird, sollte sie sich mit Waffenexporten und Entwicklungshilfe auseinandersetzen.


Es gibt mehrere Möglichkeiten, in einer Wahl die Mehrheit für sich zu gewinnen. Man kann durch Inhalte überzeugen und Oppositionsparteien mit starken Argumenten übertrumpfen oder sich auf die Schwäche seiner Gegner verlassen und sich "wie eine Zenmeisterin" (so die journalistische Anspielung auf Kanzlerin Angela Merkel) zurücklehnen und den eigenen Sieg abwarten.

Die Performance von SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz nicht zuletzt im TV-Duell hat die deutschen Wähler nicht überzeugt. Doch die Entscheidung zugunsten Merkels ist nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern auch in der EU besonders gewagt - denn die Kluft zwischen ihren Kritikern und Befürwortern scheint nahezu unüberbrückbar.

Die Welt ist durch die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten unberechenbarer geworden, während Terroranschläge in Europa und die prekären Beziehungen zu Russland und zur Türkei die Bevölkerung verunsichern. Wie wird Merkel diesen Herausforderungen entgegentreten? Wird sie sich mit jener Bestimmtheit für eine nachhaltige Friedenspolitik in Syrien und eine Entspannung zwischen Washington und Moskau einsetzen, mit der sie 2015 für die Grenzöffnung für Flüchtlinge plädiert hat?

Laut einer Fora-Umfrage erhoffen sich 63 Prozent der Deutschen jedenfalls eine Verbesserung der deutsch-russischen Beziehungen, während nur 40 Prozent ein freundlicheres Verhältnis zu den USA befürworten. Erik Brattberg, Forscher am Carnegie Endowment, prognostiziert vor allem Spannungen in energiepolitischen Fragen zwischen den transatlantischen Partnern. Das Projekt der Ostsee-Pipeline "Nord Stream 2", an der die russische Gazprom mit 51 Prozent beteiligt ist, läuft nämlich der vom US-Kongress forcierten Sanktionspolitik gegen Russland zuwider. Somit sind auch innenpolitische Auseinandersetzungen im Bundestag quasi programmiert.

Abgesehen vom stabilen Wirtschaftswachstum ist Deutschland zum drittgrößten Waffenexporteur weltweit aufgestiegen. 2016 konnte das Land seine Lieferungen von Kriegswaffen an Drittstaaten sogar verdoppeln. Saudi-Arabien, das einen erbitterten Krieg gegen den Jemen führt, ist der größte Abnehmer deutscher Panzer und Rüstungen. Doch auch Rebellen in Syrien haben vom lukrativen Geschäft profitiert. Bereits die "Verteidigung Deutschlands am Hindukusch" durch deutsche Bundeswehrsoldaten erwies sich angesichts der Instabilität in Afghanistan als fragwürdiges Unterfangen. Die Zunahme von Waffenexporten und Militäreinsätzen in Nahost haben Deutschland und Europa nicht sicherer, sondern verwundbarer gemacht.

Schulz lehnt das Nato-Ziel ab, den Militäretat bis 2024 auf 2 Prozent des BIP zu erhöhen, und will statt der engen Koppelung des deutschen Wirtschaftswachstums ans Waffengeschäft mehr Mittel für Entwicklungshilfe gewährleisten. Diese Entkoppelung wäre ein wichtiger Schritt, der den Weg für eine nachhaltige Friedens- und Flüchtlingspolitik erleichtern würde. Ein Umdenken ist hierfür erforderlich, die Bereitschaft dazu wäre ein Anfang. Für Merkel wäre es wohl so etwas wie eine vierte Chance.