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Ozean aus Plastik

Von Adrian Lobe

Gastkommentare
Adrian Lobe hat Politik- und Rechtswissenschaft in Tübingen, Paris und Heidelberg studiert und ist freier Journalist in Stuttgart.

Täglich landen Millionen Tonnen Müll in den Weltmeeren, 2050 könnten sie mehr Kunststoff als Fische enthalten. Ein radikales Umdenken ist nötig.


Wenn es so etwas wie ein Menetekel der Menschheit gibt, dann liegt es im Pazifik. Millionen Tonnen Plastikmüll treiben in den Gewässern je nach Strömung umher: Feuerzeuge, Ölkanister, Zahnbürsten, Mehrfachsteckdosen, Plastikgabeln, Flaschen, Tüten, Reifen, Fischernetze, achtlos ins Meer geworfen oder über Mülldeponien in die Ozeane gelangt. Es ist ein gigantischer Teppich von der Größe Europas.

Seit 60 Jahren wächst dieser Pazifische Plastikstrudel nun, und er wird immer größer. Allein auf Henderson Island, das Teil der britischen Pitcairn-Inseln ist, lagern inzwischen mehr als 37 Millionen Kunststoffteile. Die Strände sind übersät von Plastikstückchen, die das Meer als Treibgut an Land schwemmt.

Albatrosse verenden qualvoll an Plastik im Magen, Fische verwechseln Kunststoffteilchen mit Plankton. Über Speisefische und Meeresfrüchte gelangen Mikropartikel und Plastikgiftstoffe auch in die menschliche Nahrungskette. Der Grund: Der Kunststoff speichert wie ein Schwamm giftige Substanzen wie etwa das Schädlingsbekämpfungsmittel DDT.

Plastik macht einer Studie des UN-Umweltprogramms zufolge bis zu 80 Prozent der gesamten Abfälle in den Ozeanen aus. Vier Fünftel davon kommen von Land: aus asiatischen Supermärkten, aber auch von Fleece-Pullovern und Polyester-Trikots, bei deren Wäsche - trotz moderner Filtertechnologie - Millionen kleinster Synthetikfasern ins Abwasser gelangen. Das Meer wird zur Müllkippe. Schon jetzt schwimmt in den Meeren sechsmal mehr Plastik als Plankton.

Und es könnte noch mehr werden. Laut einem Bericht des Weltwirtschaftsforum ("The New Plastics Economy: Rethinking the Future of Plastics") könnten die Ozeane 2050 mehr Plastik als Fisch enthalten. Das ohnehin schon angeschlagene Ökosystem - im selben Jahr könnten die als Nahrungsquelle und Wellenbrecher wichtigen Korallen fast vollständig zerstört sein - könnte dann endgültig kippen.

Der "Economist", des Alarmismus gänzlich unverdächtig, schrieb in einem eindringlich mahnenden Leitartikel, die Ozeane seien für unser Leben systemrelevant - gewissermaßen too big too fail. Fischbestände sind die Hauptnahrungs- und Einnahmequelle für ganze Bevölkerungsgruppen, weltweit sind laut Schätzungen der UNO 200 Millionen Menschen in der Fischerei beschäftigt - und davon abhängig. Doch wenn das Meer zur Mülldeponie wird, kollabieren mit dem Ökosystem auch ganze soziale Ordnungen: Hunger, Armut, Unruhen und weitere Fluchtbewegungen wären die Folge.

Die Menschheit muss endlich gegensteuern - sie kann sich nicht mehr an den Meeren wie an einem privaten Reservoir bedienen, nach dem Motto: so viel rausnehmen und reinwerfen wie möglich. Das ist alles andere als nachhaltig und eine Hypothek für spätere Generationen. Maßnahmen wie etwa ein gefordertes Verbot von Mikroplastik in Kosmetika sind diskussionswürdig. Es braucht aber neben einem - derzeit leider nicht absehbaren - politischen auch einen gesellschaftlichen Willen, den Plastikverbrauch einzudämmen. Die Ozeane sind unser Lebenselixier - und dürfen nicht zur Müllkippe verkommen.