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Keine Alternative zu Merkel

Von Clemens M. Hutter

Gastkommentare

Gastkommentar: Der deutsche Bundestagswahlkampf änderte nichts an den politischen Baustellen.


Diesen Sonntag wählen die Deutschen den 18. Bundestag. Viele Beobachter atmen auf, denn sie haben den Wahlkampf als ziemlich langweilig eingeschätzt, weil "heiße Reizthemen" fehlten. Erstaunlich ist, dass Grundsatzentscheidungen der schwarz-roten Koalition im Wahlkampf wenig Echo geweckt haben: so etwa das Ende des klimaschädlichen Kohlebergbaus oder die Ankündigung, Atomkraftwerke stillzulegen. Plädoyers für Stabilität (Union) und mehr Gerechtigkeit (SPD) waren Neuauflagen früherer Wahlkämpfe. Kritik an Ungarn, der Slowakei und Polen wegen der Weigerung, Flüchtlinge aufzunehmen, fand allgemeine Zustimmung, der Brexit erwies sich als sachlich zu kompliziert, und die türkische Einmischung in den deutschen Wahlkampf samt Nazi-Vorwürfen an die deutsche Regierung löste Ärger, aber keine Ausschreitungen gegen die 3,4 Millionen Türken in Deutschland aus. Das sind übrigens 4,2 Prozent der Bevölkerung, in Österreich beträgt der Anteil der Türken 5,7 Prozent.

Wohnraum, Pflege, Altersarmut

Themen waren auch die großen deutschen Baustellen: Es fehlen rund eine Million Wohnungen, weshalb sich Wohnraum beängstigend verteuert. Es mangelt an Hebammen, weil diese als Freischaffende so wenig verdienen wie unqualifizierte Hilfsarbeiterinnen. Um 2,5 Millionen Pflegebedürftige kümmern sich immer weniger Pflegekräfte, weil deren Arbeit unterbezahlt und nicht hinreichend wertgeschätzt ist. Im großen Niedriglohnsektor gehen Millionen Arbeitnehmer der Altersarmut entgegen. Den Mangel an konkreten Lösungen charakterisiert die Parole des SPD-Vorsitzenden Martin Schulz gut: "Lieber 1 Prozent von etwas als 100 Prozent von nichts."

Und so liegt die Union kurz vor der Wahl in den Umfragen klar vorne (wenn auch mit 36 Prozent deutlich hinter den 41,5 Prozent bei der Wahl 2013 - die SPD käme auf 22 Prozent). Allerdings waren zuletzt fast 40 Prozent der Befragten noch unschlüssig. Dies kann man in Zusammenhang mit der Frage setzen, für wen sie sich entschieden, falls der deutsche Bundeskanzler direkt und nicht vom Bundestag gewählt würde: 56 Prozent nannten CDU-Chefin Angela Merkel, 32 Prozent den SPD-Chef Martin Schulz. Diese Momentaufnahmen der Umfragen machen nach den Wahlen nur zwei Koalitionsvarianten möglich: Wie bisher Union mit SPD oder aber Union, FDP und Grüne.

Rechtspopulisten im Abseits

Eine andere Entwicklung sollte nicht aus dem Blickfeld geraten: Alle Parteien, die zur Regierungsbildung infrage kommen, haben eine Koalition mit der AfD ausgeschlossen. Diese Rechtspopulisten sind also isoliert und mit einem Anhang von rund 10 Prozent eher ein Störfaktor, obwohl sie in 11 der 16 deutschen Landtage sitzen. Das gibt einer Umfrage zum Thema "Wir" (gegen andere) Gewicht: Für 82 Prozent der Befragten gehören Menschen mit anderer Religion zu Deutschland. Das gilt für 73 Prozent auch für Menschen mit anderem Lebensstil und für 71 Prozent für Flüchtlinge.

Eher unüblich war auch, dass sich die Bundeskanzlerin wochenlang aus dem Wahlkampf hielt und stattdessen den heiklen Aufgaben ihres Amtes oblag. Etwa dem Problem des zunehmend autokratisch geführten EU-Kandidaten Türkei. Hinzu kommen die unberechenbaren Extratouren des US-Präsidenten Donald Trump, dem eine gestärkte EU entgegentreten müsste, und Russlands Einmischung in den Nahost-Konflikt sowie die Annexion der Krim.

Doch alsbald rückte die promovierte Physikerin Merkel mit einer völlig neuen Idee wieder als Wahlkämpferin ins Rampenlicht. Sie veranstaltete mit Kindern zwischen 5 und 13 Jahren eine Pressekonferenz und beantwortete alle Fragen knapp und klar. So erfuhr die Öffentlichkeit, dass sie gern schwimmt, als Kind Astronautin werden wollte, sich auf die Ernte frischer Kartoffeln in ihrem Garten freut und ihren Ehemann über alles liebt. Human Touch tut eben einem Wahlkampf gut.