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Was wäre, wenn?

Von Thomas Seifert

Leitartikel
Thomas Seifert ist stellvertretender Chefredakteur der "Wiener Zeitung".
© WZ

Der 11. April 2003, heute vor 15 Jahren, war ein guter Tag für US-Präsident George W. Bush. Der 43. Präsident der Vereinigten Staaten hielt eine Rede im National Naval Medical Center in Bethesda, Maryland, ein wenig außerhalb von Washington, D.C. Bush sagte an diesem 11. April, er wisse zwar nicht, ob Saddam tot ist oder lebt, aber "ich weiß, dass er nicht mehr an der Macht ist". Der Irak-Krieg lief bis dahin für die USA besser als erwartet, am 9. April 2003, zwei Tage zuvor, war die Schlacht um Bagdad entschieden worden. Und damit das auch jedem klar war, hatte ein US-Panzer medienwirksam eine Saddam-Hussein-Statue vom Sockel geholt.

Danach lief freilich alles schief, was schiefgehen konnte. Plünderungen, Brandstiftung und Anarchie griff in Bagdad um sich. Ein zuerst glimmender Krieg nach dem Krieg loderte immer stärker auf, hunderttausende flüchteten: ins Nachbarland Syrien, aber auch nach Europa. April 2003, das war der Monat, in dem die Region - wieder einmal - im Chaos zu versinken begann. Denn George W. Bushs völkerrechtswidrige Irak-Invasion war die Geburtshilfe für eine Reihe von tödlichen Dschihadi-Gruppen, Al Kaida im Irak metastasierte wie ein Krebsgeschwür zu al Nusra und schließlich dem IS. Der Bürgerkrieg zwischen Sunnis und Schiiten geriet außer Kontrolle. Als die US-Truppen den Irak im Dezember 2011 verließen, tobte bereits seit 278 Tagen ein blutiger Bürgerkrieg im Nachbarland Syrien. Die Lehren, die man aus den Konflikten im Nahen Osten ziehen kann: Das Las-Vegas-Prinzip - "was in Las Vegas passiert, bleibt in Las Vegas" - gilt dort nicht, Kriege und Konflikte mutieren und metastasieren wie Krebsgeschwüre. Und so gibt es eine direkte Linie auf der Zeitleiste von der Eroberung des Irak durch US-Truppen im April 2003 bis zum 15. März 2011, dem Beginn des Bürgerkriegs in Syrien. Von dort führt die Linie dann weiter ins Jahr 2015, als Europa von der Flüchtlingskrise erfasst wurde. Dieser April vor
15 Jahren ist somit ein wahrer Fundus für Liebhaber kontrafaktischer Geschichtsschreibung. Denn wie sähe die Welt heute aus, hätte es die US-Invasion im Irak - und in weiterer Folge den Bürgerkrieg in Syrien - nie gegeben? Stünde die Region heute dennoch in Flammen? Wäre Saddam Hussein heute - mit 81 Jahren - noch an der Macht? Was wäre aus dem Autonomiestreben der Kurden geworden, das die türkische Armee immer aggressiver operieren lässt? Was aus der heute durchaus realen Bedrohung einer direkten Konfrontation zwischen dem Iran und Saudi-Arabien? Was aus der Welle des Dschihadi-Terrors, mit der Europa seit dem Irak-Krieg konfrontiert war? Und schließlich: Wie sähe eigentlich die politische Landschaft in Europa heute aus, hätte es die Flüchtlingskrise nie gegeben?