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Islam sells

Von Ingrid Thurner

Gastkommentare
Ingrid Thurner ist Ethnologin, Publizistin und Mitglied der Initiative Teilnehmende Medienbeobachtung (www.univie.ac.at/tmb) am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien. Foto: privat

Islam bringt Stimmen, Islam macht Quote, Islam lenkt ab. Wie man eine Religion und deren Angehörige auf ihre Kosten für politische Zwecke nutzen kann.


Ein neues Schlagwort macht die Runde: Der "politische Islam" ist in aller Munde, taucht in allen Medien und bei allen Parteien auf und wird bei jeder einschlägigen Veranstaltung erneut in die Köpfe der Wahlberechtigten gehämmert. Inzwischen kann bei dem Thema jeder mitreden. Es ist wie beim Wetter, beim Straßenverkehr und beim Sex, alle wissen Bescheid. Zeitgerecht um den Wahlkampf und die Stimmung anzuheizen, erscheint Studie um Studie, die sich mit muslimischer Glaubenspraxis in Österreich befasst, jüngst also: "Die Muslimbruderschaft in Österreich" - allein der Titel ist schon so ein Aufreger, dass man meinen könnte, der Untergang des Abendlandes nahe.

Man würde aufgrund der Ankündigung und der Zusammenfassung der Studie eine forschungsbasierte Durchleuchtung eventueller struktureller (ökonomischer, finanzieller, personeller, ideologischer) Verflechtungen der muslimischen Szenen Österreichs mit den Ablegern der Muslimbruderschaften in verschiedenen Ländern erwarten. Aber es gibt keine eigene Datenerhebung, etwa eine Teilnehmende Beobachtung, die einzelne Institutionen in ihren Worten, Taten und Vernetzungen erforschen würde, oder Tiefeninterviews mit einzelnen Akteuren oder eine Diskursanalyse, die hieb- und stichfest Aufschluss darüber gäbe, was die Inhalte und Absichten unter der sichtbaren Oberfläche sind. Es gibt keine Darlegung der Forschungsfragen, verwendeten Methoden oder Interpretationskriterien. Als Quellen dienen weder journalistische oder polit-aktivistische Recherchen noch Geheimdienstinformationen oder Gerichtsdokumente.

Keine Neuigkeiten

Tatsächlich ist es eine Kompilation aus bereits veröffentlichten Texten und enthüllt nichts, was man nicht auch in Wikipedia-Beiträgen, Online-Publikationen und alten Zeitungsberichten nachlesen könnte, auf die sich die Arbeit übrigens beruft. Hier werden Fakten bekannt gemacht, die längst bekannt und teils sogar widerlegt sind.

Schon der Titel enthält einen Widerspruch, weil es die Muslimbruderschaft als Organisation oder Institution in Österreich gar nicht gibt. Auch ist die Beweisführung zuweilen etwas dürftig. Nur weil man nahe verwandt ist mit jemandem, ist man noch nicht für dessen Handlungen verantwortlich. Sippenhaftung gehört üblicherweise nicht zu den Rechtspraktiken, die auf den viel beschworenen europäischen Werten fußen.

Was auffällt: Einzelne Personen und Institutionen werden an den Pranger gestellt, und die Belege dafür sind Medienberichte. Etliche Quellenangaben datieren zehn und mehr Jahre zurück, man darf daher annehmen, dass im Falle mutmaßlicher Rechtswidrigkeiten Exekutive und Judikative längst in Aktion getreten wären. Als Kooperationspartner scheint das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung auf, in der Biografie des Autors wird dessen Expertise in Extremismus, Dschihadismus und Deradikalisierung betont. Zwar besteht zwischen den Terroranschlägen in Europa und den Muslimbrüdern keinerlei Zusammenhang, was auch auf Seite 35 erwähnt wird, aber im gegebenen Kontext und besonders in der Berichterstattung über die Studie geht dies unter.

Dass das Gedankengut der Muslimbrüder in Österreich und überall auf der Welt zirkuliert, ist nichts Neues, aber nur, weil man die Schriften ihres Gründers Hassan al-Banna liest, ist man noch kein Verbrecher. Der gesamte "Arabische Frühling", der in Europa mit so viel Freude begrüßt wurde, weil er nichts anderes wollte als demokratische Erneuerung, Mitbestimmung und Würde für alle, bezog ein Gutteil seiner Kraft aus dem Gedankengut der Muslimbruderschaft, ebenso finanzielle und personelle Ressourcen, die ihn mittrugen.

Kurz vor der Wahl kommt diese Publikation gerade recht, um mit ihrer Hilfe in einschlägigen Blättern und Blogs einzelne Personen zu desavouieren und generell eine anti-muslimische Stimmung zu verbreiten.

Beweislastumkehr für Muslime

Beim Thema Islam scheint inzwischen die Beweislastumkehr zu gelten: Die Beschuldigten müssen darlegen, dass sie unschuldig sind. Muslime müssen ständig beweisen, dass ihnen Demokratie, Menschenrechte, Gleichberechtigung der Geschlechter, Gewaltfreiheit und Schwimmunterricht ebenso wichtig sind wie dem Rest der Bevölkerung. Demnächst werden sie wohl beteuern müssen, dass sie nicht gerade dabei sind, ein Alpen-Kalifat zu errichten.