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Wer Europa liebt, muss es liebevoll treten

Von Matthias Strolz

Gastkommentare
Matthias Strolz ist Klubobmann der Neos.

Wir sind als Mitglied der Europäischen Union mitverantwortlich, was aus unserem Europa wird.


Wer Europa liebt, muss die Europäische Union kritisieren und entschlossen weiterentwickeln. Unser Europa ist wie ein Fahrrad - wir müssen es bewegen, sonst fällt es um. Also lasst uns liebevoll in die Pedale treten.

Ich bin glühender Europäer und stolzer Österreicher. Multiple Persönlichkeit? Nein. Das ist kein Widerspruch. Ich bin Vorarlberger, Wiener, Österreicher und Europäer. Europa ist eine Schicksalsgemeinschaft. Unsere Häuser stehen so nahe beieinander, dass klar ist: Wenn eine Hütte brennt, fackelt das Nachbarhaus mit ab. Daher lasst uns Europa auch als Chancengemeinschaft begreifen. Wir sind als Mitglied der Europäischen Union mitverantwortlich, was aus unserem Europa wird. Die Nationalratswahl am 15. Oktober wird darüber entscheiden, welche Richtung die österreichische (Europa-)Politik einschlägt: eine weltoffene, proeuropäische oder eine sich abschottende, nationalistische.

Freiheit, Demokratie, Gleichwertigkeit von Frau und Mann, Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Minderheitenrechte - das ist das Fundament, auf dem die Europäische Union aufgebaut ist. Freier Personenverkehr und freier Handel, das Recht aller Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, uneingeschränkt Wohnort und Arbeitsplatz in der EU zu wählen, sind die Grundlagen für Wohlstand und Wachstum.

Heute sehen wir mehr denn je, dass all dies nicht selbstverständlich ist. Die Grundwerte der EU sind bedroht - von innen und von außen. Unser einzigartiges Friedens- und Wohlstandsprojekt ist in Gefahr, auseinanderzubrechen. In unserer unmittelbaren Nachbarschaft werden Kriege geführt; Populisten und Nationalisten wollen Grenzen zwischen den Mitgliedsstaaten wiederaufbauen und unsere Gesellschaft spalten.

Wer Europa liebt, muss daher Fehler, Schwächen und Fehlentwicklungen in der Europäischen Union klar benennen. Konstruktiv und mit mutigen Ideen im Gepäck. Denn wir vergessen oft, dass die Europäische Union nicht an einem Tag geschaffen wurde: Sie ist das Ergebnis von Verhandlungen, Konflikten, Kompromissen und regelmäßigen Reformen. Deshalb müssen wir gerade in Krisenzeiten darüber nachdenken, was gut in unserem gemeinsamen Europa funktioniert und was wir verbessern müssen. Das fängt dabei an, dass wir die demokratisch gewählten Institutionen der EU stärken müssen. Das EU-Parlament soll ein Initiativrecht für Gesetze erhalten, wir wollen einen Europäischen Ministerrat schaffen und die Kommission zur wirklichen EU-Regierung umbauen. Zweitens braucht es bei Europawahlen europäische Listen - die Wählerinnen und Wähler sollen entscheiden können, wer sie am besten in der Union vertritt - unabhängig von der Nationalität der Kandidaten. Und nicht zuletzt müssen wir die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik vertiefen. Mit dem mittelfristigen Ziel einer EU-Armee.

Die Grundvoraussetzung für all diese Reformen ist ein klares Bekenntnis zur Europäischen Union: Die Lösung unserer strukturellen, innen- und außenpolitischer Probleme können nie nationale Alleingänge sein, sondern gemeinsame Lösungen.