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Viel mehr als bloß eine "interne Angelegenheit" Spaniens

Von Balazs Csekö

Gastkommentare
Balazs Csekö studierte Politikwissenschaft an der Universität Wien. Der gebürtige Ungar lebt und arbeitet als freier Journalist in Wien. Er war während des Referendums selbst in Katalonien.

Spätestens seit dem Unabhängigkeitsreferendum sollte sich die EU mit der Katalonien-Frage ernsthaft beschäftigen.


"Gewalt kann nie ein Instrument der Politik sein." So fasste ein Sprecher der EU-Kommission die Kritik am gewaltsamen Vorgehen der spanischen Polizei gegen das katalanische Unabhängigkeitsreferendum kurz zusammen. Viel mehr rügende Worte gab es aus Brüssel Richtung Madrid nicht, weil die spanische Verfassung so ein Referendum nicht vorsehe und somit das Votum illegal sei. Ein völlig unlogisches und kontraproduktives Verhalten.

Die EU ist nämlich nicht nur ein rein politischer und wirtschaftlicher Zusammenschluss, sondern auch eine Wertegemeinschaft, die zur Durchsetzung der Demokratie und der Menschenrechte verpflichtet ist. Artikel 2 des EU-Vertrags besagt nämlich: "Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören." Am Sonntag hat Spaniens Zentralregierung nicht nur die Demokratie und europäische Werte ins Abseits gestellt, sondern auch gleich gegen eine Reihe von Menschenrechten verstoßen. Die freie Meinungsäußerung und die Versammlungsfreiheit wurden bereits in den frühen Morgenstunden auf Kataloniens Straßen zu Opfern.

Die massive Polizeigewalt - Zerschlagung friedlich versammelter Bürger, Einbruch in Wahllokale, Zerstörung von Wahlurnen, Konfiszierung von Wahlzetteln - und eine jede Objektivität verfehlende Berichterstattung spanischer Medien erinnerten viele Katalanen an einen autoritären Staat, den sie seit dem Ende der Franco-Diktatur vor gut 40 Jahren nicht mehr kannten.

Mit dem Stillschweigen der Kritik seitens der EU-Institutionen wird nicht alleine das repressive Vorgehen der spanischen Exekutive in Katalonien gerechtfertigt, sondern damit auch den Ordnungskräften anderer Mitgliedstaaten ebenso das Recht vorbehalten, mit unverhältnismäßiger Härte gegen friedliche Bürger vorzugehen. Sollte es in Zukunft ähnlich tragische Bilder aus Budapest oder Warschau geben, würde jede Intervention aus Brüssel als Doppelmoral gelten.

Das derzeitige Verhalten der EU in der Katalonien-Frage ist auch deswegen vollkommen kontraproduktiv, weil es ihr eigenes Image beschädigt. Die Schande Spaniens wird somit zur Schande Europas. Es trägt lediglich zu einem EU-Skeptizismus bei, der sich rasch unter Katalanen - und Europäern - ausweiten könnte. Wenn Brüssel die weitgehend als offen und EU-freundlich geltende katalanische Bevölkerung und ihre "Causa catalana" weiterhin ignoriert, könnte die EU bald als Befürworter maßloser Polizeigewalt und anti-demokratischer Tendenzen dargestellt werden.

In einer Ära, in der EU-kritische Parteien immer mehr Zuspruch finden, in Parlamente einziehen oder gar Regierungen anführen, ist das keine gute Nachricht für das Projekt Europa. Statt sich alleine auf die spanische Verfassung zu berufen, sollte die EU in der Katalonien-Frage auch die Regionalregierung an den Verhandlungstisch holen und gemeinsam einen Ausweg aus der politischen Sackgasse suchen. Fegt sie das Thema als "interne Angelegenheit" Spaniens vom Tisch, sägt sie nur am Ast, auf dem sie sitzt.