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Der Wahlverlierer bestimmt das Schicksal der Kanzlerin

Von Clemens M. Hutter

Gastkommentare
Clemens M. Hutter war Leiter des Auslandsressorts bei den "Salzburger Nachrichten".

Der Zankapfel Höchstgrenze für Flüchtlinge bringt CSU-Chef Horst Seehofer und Angela Merkels CDU in eine Zwickmühle.


Mit Feiern gedenkt Deutschland alljährlich des "Tages der Wiedervereinigung" am 3. Oktober 1990. Doch heuer drückte das Ergebnis der Bundestagswahl die Feierstimmung. Die AfD ist nun drittstärkste Kraft, schon halb so stimmstark wie die CDU und doppelt so stark wie deren bayrische Schwesterpartei CSU.

Zum AfD-Stammland entwickelten sich die fünf neuen Bundesländer im Osten. Den Boden dafür bereitete die Protestbewegung Pegida, deren Protest schließt alle Migranten und Flüchtlinge ein, obwohl im Osten die mit Abstand wenigsten Flüchtlinge leben. In der "homogenen" DDR-Gesellschaft fehlten sie, daher konnten die Menschen dort auch nicht den Umgang mit "Fremden" üben.

Diese Entwicklung ist die psychologische Hypothek der Wiedervereinigung. Westdeutsche Experten übernahmen notgedrungen von den DDR-Apparatschiks die Verwaltung Ostdeutschlands. Westdeutsche Unternehmer erwarben 85 Prozent der DDR-Staatsbetriebe, und Westdeutschland sanierte Ostdeutschlands desolate Infrastruktur und Wirtschaft mit rund 1,8 Billionen Euro. Immerhin erreichte die DDR-Produktivität 1989 nur knapp ein Drittel des westdeutschen Niveaus. Zudem bekamen tausende Westdeutsche gut dotierte Jobs in Ostdeutschland, während die Sanierung hunderttausende Ostdeutsche den Job kostete. Folglich wanderten mehr als zwei Millionen Ostdeutsche in den "goldenen Westen" ab.

Gewiss brachte die Wiedervereinigung den Ostdeutschen die politische Freiheit. Aber sie verloren die in der DDR mit Schweigen und Gehorsam erkaufte soziale Sicherheit. Das förderte das Gefühl der kollektiven Benachteiligung und weckte Ängste gerade auch wegen der Zuwanderung von Migranten, zumal von Muslimen. Das fremdenfeindliche Klima beutete die Pegida mit gehässiger Agitation aus und bereitete damit der AfD den Boden.

Da nun die Deutschen die große Koalition abgewählt haben, müssen neue Koalitionen gefunden werden. Als realistische Alternative zu SPD/Linkspartei/Grüne (gemeinsam nur knapp 39 Prozent) bleibt nur die sogenannte Jamaika-Koalition von Schwarz (CDU/CSU), Gelb (FDP) und Grün (zusammen 53 Prozent).

Doch da klemmt es: Die bayrische CSU will keiner Koalition beitreten, wenn nicht eine Höchstgrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen festgelegt wird. Diese Forderung hatte CSU-Chef Horst Seehofer im Wahlkampf gestrichen, um den Wahlsieg von CDU-Chefin Angela Merkel nicht zu gefährden. Jetzt verlor Seehofer aber in Bayern 10 Prozent seiner Wähler, wogegen die AfD etwa in Deggendorf und Straubing an die 20 Prozent holte - in zwei Städten an der Donau, wo 2015 tausende Flüchtlinge gestrandet waren. Nächstes Jahr wählt Bayern einen neuen Landtag. Und im Wahlkampf sind Flüchtlinge wieder Großthema. Das wird spannend, weil an Seehofers Stuhl gesägt wird und er keinen Nachfolger aufgebaut hat.

In Summe bedeutet das: Keine handlungsfähige Bundesregierung ohne CSU - aber mit oder ohne Obergrenze für Flüchtlinge?

Dass es ohne eine solche ginge, bewiesen die jüngsten Landtagswahlen in Schleswig-Holstein. Dort kam es zu einer Jamaika-Koalition, weil alle drei Parteien auf "Unzumutbares" verzichteten.