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Freiheit statt Einheit

Von Christian Ortner

Gastkommentare
Christian Ortner.

Warum es in der EU ein verbrieftes Recht der Regionen sein sollte, wenn gewünscht unabhängig vom jeweiligen Nationalstaat zu werden.


Sollen Regionen wie Katalonien, Schottland oder gar Bayern das Recht haben, auf eigenen Wunsch souveräne Staaten zu werden? Der außerhalb Österreichs weltberühmte und angesehene Ökonom Ludwig von Mises notierte dazu bereits 1927 mit bemerkenswerter Klarheit: "Wenn die Bewohner eines Gebietes - sei es eines einzelnen Dorfes, eines Landstriches oder einer zusammenhängenden Reihe von Landstrichen - durch unbeeinflusst vorgenommene Abstimmungen zu erkennen gegeben haben, dass sie nicht im Verband jenes Staates zu bleiben wünschen, dem sie augenblicklich angehören, sondern einen selbständigen Staat bilden oder einem anderen zugehören wollen, so ist diesem Wunsche Rechnung zu tragen." So ist es, wenn man das Selbstbestimmungsrecht der Völker und Bürger ernst nehmen will.

Dass Europas Nationalstaaten diesen erzliberalen Anspruch eher wenig schätzen, liegt natürlich an institutionellen Eigeninteressen - kein Staat mochte sich deswegen einen legalen Weg zu seiner Selbstauflösung in die Verfassung schreiben (mit der kuriosen Ausnahme Liechtensteins übrigens, wo jede Gemeinde per Volksabstimmung aus dem Fürstentum ausscheiden kann). Weder das deutsche Grundgesetz noch die französische Verfassung kennt deshalb explizit legale Wege zur Sezession; die spanische schreibt gar die "nationale Einheit" ausdrücklich vor.

Dieses Primat der Existenzsicherung des Nationalstaates vor dem von Mises postulierten Recht auf Sezession stellt eine nicht mehr zeitgemäße Beschränkung bürgerlicher Rechte dar. Dass ein Staat einen Teil seiner Bürger per Prügelpolizei von der Sezession abhält, wie jüngst in Spanien, ist nicht eben ein Prunkstück aus der Sammlung "Europäische Werte". Das indignierte Hüsteln der EU-Granden dazu übrigens auch nicht. Immerhin ist eine ganze Reihe heutiger EU-Mitgliedstaaten selbst das Ergebnis von Sezessionsprozessen. Verschärft wird dieses Problem durch den Zwang zur Einstimmigkeit bei der Aufnahme neuer Mitglieder in die Europäische Union. Die Mutterstaaten sich abspaltender Nationen können dadurch deren Neubeitritt zur EU grundsätzlich blockieren - was eine Sezession natürlich noch einmal dramatisch erschwert.

Dabei ist das Entstehen neuer, meist kleinerer Staaten überhaupt nicht gegen die Interessen der EU, eher ganz im Gegenteil. Denn staatliche Vielfalt, wohl organisiert, erzeugt mehr (Standort-)Wettbewerb, ein Ringen um die besten Köpfe und Ressourcen, und schafft mehr Wohlstand und Fortschritt. Um dorthin zu kommen, wäre wohl eine Regelung des Rechtes auf Sezession auf EU-Ebene wünschenswert, die festlegt, unter welchen Bedingungen Regionen ihren jeweiligen Staat verlassen können, ohne dabei automatisch aus der Europäischen Union ausscheiden zu müssen. Immerhin hat sich ja die EU auch selbst Regeln für den Fall gegeben, dass ein Mitgliedstaat auszutreten wünscht, siehe Brexit.

Jene 27 Nationalstaaten, die heute höchst bedacht darauf sind, ihre territoriale Integrität akribisch zu behüten und vor bösen Sezessionisten zu schützen, dazu zu bringen, ein unionsweites Recht auf Sezession zu vereinbaren, dürfte keine sehr leichte Übung sein. Eine lohnenswerte Übung wäre es allemal.