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Zur Dialogfähigkeit bei der Frage "Ehe für alle"

Von Pater Florian Calice

Gastkommentare

Replik auf den Kommentar von Matthias Winterer vom 5. Oktober:

Zurzeit gehören 40 Prozent aller Schüler in Wien im Alter von 6 bis 14 Jahren dem islamischen Bekenntnis an. Abgesehen davon, dass diese Zahl kontinuierlich ansteigt, muss man auch bei den aktuellen Verhältnissen davon ausgehen, dass in einigen Jahrzehnten fast die Hälfte der Menschen, die in Wien beruflich aktiv sind und daher das gesellschaftliche Leben entscheidend prägen, Moslems sein werden.

Warum das für die im Titel genannte Frage "Ehe für alle" relevant ist? Ganz einfach, weil es ratsam wäre, sich in gesellschaftlichen Fragen daran zu gewöhnen, sich einem echten Dialog mit den Menschen in unserer Gesellschaft zu stellen, deren Weltanschauung von ihrem Glauben an eine höhere Ordnung bestimmt wird. Dies umso mehr, als im Islam der Glaube eben nicht "Privatsache" ist, wie das bei uns gerne betont wird, sondern mit größter Selbstverständlichkeit das gesellschaftliche Leben formen möchte.

Dialog meint die Fähigkeit, die Anschauung des Anderen zu respektieren, dem Gegenüber auf Augenhöhe zu begegnen, seiner Meinung nicht von vornherein jegliche Berechtigung abzusprechen und vor allem die Ansichten, die der eigenen entgegenstehen, wenigstens ein wenig zu verstehen zu versuchen, um dann sachlich Gegenargumente vorzubringen. Gläubige Menschen, die zu gesellschaftlichen Fragen Stellung nehmen, haben darauf genauso ein Recht wie alle anderen.

Eine katholische Pfarre in Wien hat unlängst in ihrem Magazin für die Pfarrmitglieder zwei Beiträge gebracht, die sich mit der zurzeit diskutierten Frage der "Ehe für alle" beschäftigten: zum einen einen Erfahrungsbericht einer Lesbe, zum anderen eine Erklärung, warum für die katholische Kirche der Begriff "Ehe" nur für den Lebensbund von Mann und Frau gilt. Im Erfahrungsbericht schilderte Ursula, eine Frau mittleren Alters, ihre persönliche Erfahrung von gelebter Homosexualität, indem sie die Entwicklungsstadien aufzeigte, die ihre Homosexualität dabei durchlaufen hatte: von einer schon im Kindesalter getroffenen Festlegung (aufgrund einer traumatischen Erfahrung) über die Suche nach homoerotischen Kontakten in der Jugend bis zur Erkenntnis, dass sie in den verschiedenen homosexuellen Beziehungen, in denen sie dann als Erwachsene stand und die stark von sexueller Begierde geprägt waren, die Liebe, die sie gesucht hatte, nicht finden konnte.

Im Gegenteil, je mehr das sexuelle Begehren bestimmend war, desto schwieriger war es für sie geworden, aufrichtig zu lieben. Diese Entwicklung hat durch eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Glauben schließlich eine andere Richtung genommen. Eine Gotteserfahrung (wie sie sich viele Menschen wünschen) - die Begegnung mit der Liebe Jesu - hat ihr Schritt für Schritt die innere Freiheit wiedergeschenkt (sie "vom Sumpf homosexueller Begierden befreit" - wobei dies in gleicher Weise von der Verstrickung in heterosexuelle Begierden gesagt werden könnte) und ihr geholfen, gleichgeschlechtliche Beziehungen aufzunehmen, die nicht mehr erotisch bestimmt waren, sondern einfach nur aufrichtige Freundschaften. Dies hat Ursula als "Heilung" erlebt.

Intellektuelle Fairness

Diese Schilderung wurde nun von einem Kommentator so wiedergegeben, als würden hier homosexuelle Menschen abgewertet oder sogar als krank bezeichnet, und dass sie bei der Diskussion zur Frage "Ehe für alle" völlig fehl am Platz wären. Abgesehen davon, dass dabei Ursulas Aussagen unvollständig und mitunter auch falsch wiedergegeben und ihr Dinge unterstellt wurden, die sie weder gesagt noch gemeint hatte, klingen Verachtung für ihr Empfinden und für ihren persönlichen Glauben durch. Ursulas sachliche Argumente (die in einem ihrem Interview folgenden Beitrag ausführlich dargelegt worden waren) wurden hingegen völlig außer Acht gelassen. Eine Auseinandersetzung mit den Inhalten von Ursulas Position (und jenen der katholischen Glaubenslehre) fand nicht statt. An ihre Stelle trat die Herabwürdigung einer Meinung, die der des Kommentators fremd ist und die er offensichtlich schon von vorneherein nicht gelten lassen wollte.

Weder ist jemand gezwungen, sich Ursulas Ansichten oder denen der offiziellen kirchlichen Lehre anzuschließen, noch sich damit auseinanderzusetzen, aber wenn man darauf Bezug nimmt, sollte man dies mit der nötigen intellektuellen Fairness tun. Das Entstellen und "Abkanzeln" anderer Meinungen kommt einem "Mundtotmachen" gleich. Das wäre aber Diskriminierung schlechthin: wenn Katholiken das Recht abgesprochen wird, zu Fragen der Sexualität im Allgemeinen und der Homosexualität im Speziellen Stellung zu nehmen.

Dialog würde bedeuten, gegen die Argumente der katholischen Kirche (die in der Zeitung ausführlich dargelegt wurden) sachliche Gegenargumente einzubringen. Zu so einem Dialog möchte ich um des Zusammenhalts unserer Gesellschaft willen ermutigen.

Florian Calice ist Mitglied des Oratoriums des Heiligen Philipp Neri in Wien und Pfarrer an der Rochuskirche im 3. Bezirk in Wien.