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Nicht Normalität, sondern Normalisierung

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien. Foto: Daniel Novotny

Zur schwarz-blauen Koalition.


Ist die FPÖ nun also eine normale Partei, wie Walter Hämmerle in der "Wiener Zeitung" schrieb? Normal, weil es ihr gar nicht darum gehe, das "System" zu sprengen - wie sie in den Landtagen zeige, wo sie bereits mitregiere. Aber ist dieses Kriterium für die Beurteilung überzeugend?

Da wäre zum einen das Personal. Die Strache-FPÖ ist jener rechte Flügel, der sich 2002 in Knittelfeld von der Haider FPÖ abgespalten hat. So ist es kein Wunder, dass dieser FPÖ - ungeachtet ihres freundlicheren, gewandteren Auftretens - attestiert wird, weiter rechts zu stehen als unter Haider.

Etwa vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands. Keine Buberlpartie und keine Glücksritter, sondern eine Partei in strammer Burschenschafterhand. Rund 41 Prozent des blauen Parlamentsklub werden Hardcore-Burschenschafter sein - während ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung bei 0,05 Prozent liegt. Das nenn ich mal Repräsentation. Da wäre zweitens das Inhaltliche, an dem sich zeigt, dass die belegten Verstrickungen der Partei in "rechtsextremistische und neonazinahe Kreise" nicht Äußerliches, nichts Zufälliges sind: Es ist dies eine völkische Ausrichtung, die die Legitimierung von Ressentiments zum Programm erhebt.

Und schließlich stellt sich drittens die Frage: Wählen die Leute die FPÖ, weil sie eine "normale" Partei ist? Es steht zu hoffen, dass nicht 26 Prozent der Bevölkerung Nazisehnsüchte haben. Aber diese 26 Prozent wählen nicht eine "normale Protestbewegung", wie Hämmerle schreibt, sondern eine strikt rechtspopulistische Truppe. Aus zwei Gründen: um dem "System" eins auszuwischen. Das mag ein diffuser Wunsch sein. Gar nicht diffus, sondern sehr konkret hingegen ist die andere Motivation - nämlich jene, die eigenen Ressentiments ausleben zu dürfen. FPÖ bedeutet Ressentiment-Legitimierung. An diesem Wochenende wird in Österreich die Zeit doppelt umgestellt: Die physischen und die gesellschaftlichen Uhren werden zugleich zurückgedreht.

Wenn eine schwarz-blaue Koalition aller Voraussicht nach dennoch nicht unterirdisch zu ihrer Angelobung gehen wird, wenn sie diesmal nicht von 300.000 Demonstranten "empfangen" wird, dann nicht weil diese Koalition heute weniger schlimm oder gar normaler wäre. Es geht nicht um Normalität, sondern um Normalisierung. Diese ist nicht einfach eine - passive - Gewöhnung an das Nicht-Normale. Normalisierung ist vielmehr eine - ganz aktive - Neudefinition dessen, was als normal gilt.

Heute sind aber nicht nur Parteien in Opposition. Ab heute sind auch jene 40 Prozent in Opposition, die diese Koalition nicht gewählt haben. Auch das ist Demokratie.

Müssen sich die Oppositionsparteien konsolidieren (wie die Liste Pilz) oder reformieren (wie die SPÖ oder die Grünen), so muss sich auch die Zivilgesellschaft neu formieren. Demonstrationen bei konkreten Anlässen wird es sicher geben. Was diese Opposition aber braucht, sind nicht nur punktuelle Ereignisse, sondern längerfristige Konzepte. Etwa Bürgerforen, wo Leute ihren Unmut nicht deponieren (wie bei einer Partei), sondern ihn artikulieren und bündeln. Es braucht Orte, Resonanzräume für emotionale Staus, für Bedürfnisse, für Unmut. Es braucht politische Fantasie.