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Die Flucht vor dem Klimawandel

Von Eva Maria Bachinger

Gastkommentare

Bis 2050 könnte es bis zu 200 Millionen Klimaflüchtlinge geben. Nicht die Verursacher in den reicheren Staaten, sondern ärmere Länder in Afrika und Asien sind mit den Folgen konfrontiert.


Die hitzigen Debatten über Flüchtlinge und Migranten entscheiden Wahlen, wie vor kurzem auch hierzulande. Sie werden als Bedrohung für unseren Wohlstand und unsere Sicherheit dargestellt, doch die wahre, globale Bedrohung ist die globale Erwärmung.

In Bonn fliegen - manche kommen ausnahmsweise mit dem Zug - nun erneut Politiker, Experten, Stars ein, um über notwendige Maßnahmen zu beraten. Doch de facto ignorieren wir die fatalen Folgen eines auf maximalen Profit ausgerichtetem Wirtschaftssystems, anstatt einschneidende Veränderungen endlich umzusetzen.

Nicht die Verursacher in den reicheren Ländern, sondern ärmere Länder in Afrika und Asien sind mit den Folgen konfrontiert. Der Klimawandel trifft die ländliche Bevölkerung der Erde zuerst und am härtesten. Drei Viertel der Landbewohner sind arm, 86 Prozent können ohne ihren Boden nicht überleben. Laut dem "Global Humanitarian Forum" leben mehr als 500 Millionen Menschen in vom Klimawandel gefährdeten Zonen, mehr als 20 Millionen mussten aufgrund des Klimawandels bereits ihre Heimat verlassen. Inselstaaten könnten zur Gänze versinken. Denken wir nur an die Malediven oder Fidschi.

Wo sollen all die Menschen hin? Überflutungen und versalzene Böden sind nicht das einzige Problem. Dürren, Brände, Verwüstungen durch Stürme nehmen zu, die Gletscher schmelzen, das Meer versauert buchstäblich. Angesichts der seit Jahren bekannten Fakten erschüttert die Untätigkeit der Politik und der Wirtschaft. Jeder Einzelne von uns macht weiter wie bisher, Business as usual. Verzicht ist uncool und von gestern.

Wenn es hart auf hart kommt, bleiben wir auf Kurs: Die dritte Flughafenpiste muss gebaut werden, Klimaschutz hin oder her. Der nächste Billigflug ist bereits gebucht, und am Samstag gehen wir wieder ausgiebig shoppen. Welche Zerstörung die Erderwärmung für Flora und Fauna bedeutet, darüber reden wir schon gar nicht. Nur ein paar als romantisch belächelte Naturschützer weinen aussterbenden Tier- und Pflanzenarten eine Träne nach, der Schönheit des ewigen Eises, der Pracht eines Korallenriffes, der Unergründlichkeit der Ozeane.

Der Erde ist es schnurzegal, ob wir sie retten oder nicht

Wir werden sicher nicht den Planeten retten, wozu wiederkehrend aufgefordert wird. Was für eine Chuzpe! Glauben wir tatsächlich, dass wir das auch noch in der Hand haben? Der Erde ist es schnurzegal, ob wir sie retten oder nicht. Sie existiert seit mehr als vier Milliarden Jahren, die allermeiste Zeit ohne die Menschheit. Sondern es geht beim Klimaschutz schlichtweg um die Sicherung der existenziellen Lebensgrundlagen, damit wir überleben können; und für Tier- und Pflanzenliebhaber: damit auch ein paar Arten überleben können.

Sind Lebensgrundlagen wie Wasser oder fruchtbare Böden nicht mehr vorhanden, machen Menschen, was sie schon immer getan haben, um zu überleben: Sie gehen woanders hin. Bis 2050 könnte es, so die Prognosen, bis zu 200 Millionen Klimaflüchtlinge geben. 200 Millionen - eine Zahl, die immer wieder in Vorträgen und Medienberichten zitiert wird. "Sie ist zu einer magischen Zahl in der öffentlichen Debatte geworden und wird manchmal sogar als Vorhersage der Vereinten Nationen hingestellt", heißt es im aktuellen "Atlas der Umweltmigration". Viele Fragen bleiben offen: Sagen die Prognosen etwas über die Zahl der innerhalb eines bestimmten Jahres Flüchtenden aus? Oder handelt es sich um die Zahl derer, die bis 2050 ihr Zuhause verlieren werden? Welche Definition für Migranten sollte verwendet und welcher Zeitrahmen und welche Entfernung sollten dafür berücksichtigt werden?

Streng genommen gibt es keine "Klimaflüchtlinge" im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention aus dem Jahr 1951, die Schutz vor politischer Verfolgung und Krieg zusichert. Der Klimawandel ist aus juristischer Sicht kein Grund für Asyl. Es handelt sich um Migration aus Not. Während man in Europa mit einer "Flüchtlingskrise" beschäftigt ist, finden Flucht und Migration weit entfernt von unserer Aufmerksamkeit statt. Die Mehrzahl der Flüchtlinge weltweit sind "Binnenflüchtlinge", die vom Land, das nicht mehr genügend Erträge abwirft, in die Megastädte ihrer Heimatländer ziehen. Millionen Flüchtlinge sitzen in überfüllten Lagern im Nirgendwo fest. Was wir hier im Westen wahrnehmen und was einige als ungebührlich belastend empfinden, ist in Wirklichkeit gar nicht vergleichbar mit der immens größeren Herausforderung für strukturschwache Länder.

Kriege und Klima lösen Hungerkrisen in Afrika aus

Die Ursachen von Konflikten und Flucht sind mannigfaltig. Wenn gesagt wird, dass mehr Klimaflüchtlinge aus Afrika kommen würden, ist das eine grobe Vereinfachung: Afrika ist ein riesengroßer Kontinent, man kann die einzelnen Länder nicht in einen Topf werfen, so wie man nicht sagen kann, dass die Menschen von Portugal bis zum Ural von etwas gleichermaßen betroffen wären. Im Norden Kenias liegt die Analphabetenrate bei 90 Prozent. Das sind Bauern, die kein Geld haben. Bei Problemen ist ihr erster Gedanke nicht, in die weite Welt zu ziehen, sondern die erste Option ist es, in der Nähe zu bleiben, in der Hoffnung, irgendwann auf ihr Land zurückkehren zu können.

Im Südsudan ist das Klima laut Ärzte ohne Grenzen nicht der Fluchtgrund der Menschen. Sie fliehen vor der brutalen Gewalt gegen Zivilisten und den damit einhergehenden Folgen, wie keinen Zugang zu Nahrung und medizinischer Hilfe zu haben. Klimatische Veränderungen haben auch in Somalia nicht entscheidend zur Hungerkrise beigetragen, sondern der Bürgerkrieg ist der Auslöser.

Anders im Tschad: Viele berichten, dass dort die Anbauperioden kürzer werden und es zu wenig Regen gibt. Der Druck der sich ausbreitenden Sahara ist spürbar. Ebenso im Niger und im Norden Nigerias. Zu bedenken ist auch, dass diese Ländern ein hohes Bevölkerungswachstum verzeichnen, womit es schwierig wird, alle Menschen zu ernähren.

195 Staaten haben sich beim Pariser Klimagipfel auf das Ziel geeinigt, die Erwärmung durch Maßnahmen auf zwei Grad plus zu begrenzen. Betroffenen Staaten soll finanziell geholfen werden. Sie haben sich auch dazu verpflichtet, klimabedingt Vertriebenen zu helfen. Doch viele Politiker reden von Mauern, die gebaut werden müssten, um die Migration zu stoppen; Bürger wettern gegen Flüchtlinge und Migranten. Wissen sie nicht, was in der Welt tatsächlich vorgeht? Erkennen sie nicht, dass man globale Phänomene nicht einfach mit Mauern und Hass stoppen kann? Glauben sie denn tatsächlich, dass wir mit unserem ausschweifenden Leben so weitermachen können?

Klimaschutz ist auch in unserem eigenen Interesse

Dieser Lebensstil wird auf Kosten der Natur und anderer Weltregionen abgeriegelt und zur Religion erhoben. Dann wundern wir uns, dass Menschen in Not nicht mehr demütig sind, sondern auch ein Stück vom Kuchen haben wollen. Umweltschützern und Verteidigern der Menschenrechte wird ja oft vorgeworfen, nur düstere Szenarien zu verbreiten und moralische Vorhaltungen zu machen. Doch Klimaschutz ist nicht nur eine Frage internationaler Solidarität, sondern auch in unserem Interesse: Nur ein Wandel unseres Lebensstils wird uns langfristig davor bewahren, dass Extremwettereignisse zunehmend unser sehr kommodes Leben beeinflussen.

Zugegeben: So manche Weltnachrichtensendung erschöpft sich in belanglosen Berichten über Promis und sonstige Seltsamkeiten, und nicht über Umweltzerstörung und die Zustände in den ärmsten Ländern der Welt. Aber wie weit wollen wir noch gehen und es uns in der Verdrängung gemütlich einrichten? Nachbarstaaten der Südseeinseln wie Neuseeland haben bereits ein eigenes Migrationsprogramm ins Leben gerufen. Es wäre an der Zeit, sich auch hierzulande zur globalen Tatsache von Klimawandel und Flucht zu bekennen und die Konzepte zur Bewältigung umzusetzen.