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Die Schule und die Migration

Von Ernst Smole

Gastkommentare

Wir sollten die "Lehrerbildung Neu" auf die Gesamtschule hin ausrichten.


Die Gesamtschule ist die ultimative Herausforderung und könnte Österreich indirekt das beste Schulsystem der Welt bringen! Aber wie die drängenden Schulfragen der Migration beantworten? "Wo sollen Menschen aus unterschiedlichen Ländern, Kulturkreisen und sozioökonomischen Verhältnissen das friedliche Miteinander lernen, wenn nicht in der Schule? Misslingt dies, wird unsere Gesellschaft zerbrechen", meinte dazu jüngst die Vorstandsvorsitzende eines bedeutenden privaten Industriebetriebes.

Die gemeinsame Schule aller 6- bis 14-Jährigen war und ist aufgrund der Unterschiedlichkeit der Schüler der anspruchsvollste Schultyp. Das Nutzen des "Gefälles" zwischen den Schülern und ihren Stärken und Schwächen zum "Erlernen des Voneinander-Lernens" ist immer schon große Unterrichtskunst gewesen. Doch heute verlangt dies höchste Unterrichtsvirtuosität, denn noch niemals zuvor hat es in den Klassen Unterschiedlichkeit in heutigem Ausmaß gegeben. Dennoch bitten Lehrpersonen: "Gebt mir die Klasse mit 100 Prozent fremdsprachigen Kindern - kein Problem!"

2014 klagten in einer Umfrage ganze 55 Prozent der Pflichtschullehrer, dass sie wegen unbeherrschbarer Disziplinprobleme oft gar nicht mit dem Fachunterricht starten konnten. 45 Prozent der 15-Jährigen scheitern beim Lesen, Schreiben oder Rechnen. 33 Prozent der bis 35-Jährigen können mit dem Begriff "NS-Zeit" nichts anfangen - lauter dramatische Belege für das Scheitern der Schule. Leadership, Empathie, Störungsprävention, Unterschiedlichkeit: Dies alles benötigt die erfolgreiche Lehrperson der "Schule 4.0". Es gibt diese Lehrer - doch in zu geringer Zahl.

Hilfe ist nicht in Sicht. Die "Lehrerbildung Neu" ist in Wahrheit "retro": eine unverantwortliche Reduktion des wissenschaftlichen Fachanteiles, aber Kaskaden von pädagogischer Theorie. Leadership, Empathie, Störungsprävention, virtuoser Umgang mit Unterschiedlichkeit? Fehlanzeige. Die Unterrichtspraxis wird um bis zu zwei Drittel gekürzt. Bisher kompromisslose Befürworter der universitären Lehrerbildung fordern die Rückkehr zur Pädagogischen Hochschule.

Gesamtschule - Olymp der Herausforderungen

Steigende Unterschiedlichkeit, eine weltfremde Lehrerbildung, extreme Komplexität - was bedeutet dies für die Zukunft der Schule? Werten wir die Gesamtschule als das, was sie ist: der absolut anspruchsvollste Schultyp. Wir sollten die "Lehrerbildung Neu" auf die Gesamtschule hin ausrichten, denn die Gesamtschule stellt den Olymp der pädagogischen Herausforderungen dar. Um dieses Ziel zu erreichen, gilt es Marschrichtungen zu ändern (Lehrerbildung), viel, sehr viel Geduld aufzuwenden und einen langen gestalterischen Atem zu bewahren.

Ob in 10 oder 15 Jahren - wenn dieses Ziel, der "Lehrer 4.0", erreicht ist - die Gesamtschule immer noch die erste Wahl für alle kognitiven, emotionalen und sozialen Aufgaben der Schule sein wird, steht in den Sternen. Sicher aber ist, dass wir durch das Erreichen der umfassenden "Gesamtschulfähigkeit des Unterrichts" dann tatsächlich eines der besten Bildungssysteme der Welt haben werden.

Der tragische Tod eines elfjährigen afghanischen Buben in Baden wirft die Frage auf, ob es für schwer traumatisierte Kinder tatsächlich das Optimum und der Weisheit letzter Schluss ist, vom Beginn ihres Aufenthaltes in Österreich an gemeinsam mit teils wohlstandsverwahrlosten, die Lehrer überfordernden einheimischen Kindern die Schulbank zu drücken. Einig sind sich die Kinderpsychologen darin, was traumatisierte, von Gewalt frühgeprägte Kinder für ihre seelische Rehabilitation am notwendigsten brauchen: individuelle Zuwendung und Ruhe, Ruhe und noch einmal Ruhe. Doch diese gibt es systembedingt in der mit Aufgaben überladenen öffentlichen Schule am allerwenigsten.

Gesamtschulfähigkeit in einem Jahrzehnt - und bis dahin? Es gibt einige Schulen, die dank jahrzehntelanger, zielgerichteter Aufbauarbeit bereits heute gesamtschulfähig sind. Diese Schulen sollten mit aller Kraft in ihrer Entwicklung gefördert werden, und den anstehenden Bildungsreformen den richtigen "schulpraktischen" Weg weisen.