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In Afrika unbeschäftigt, in Europa unerwünscht

Von Philipp Hedemann

Gastkommentare

Beim EU-Afrika-Gipfel geht es vor allem um die Zukunft in den Herkunftsländern der Flüchtlinge. Viele werden eher bereit sein, ihr Leben auf dem Weg nach Europa zu riskieren, als ihre Jugend in Afrika zu verschwenden.


Spitzenpolitiker beider Kontinente nehmen derzeit am fünften Gipfel der Afrikanischen und der Europäischen Union in Abidjan in der Elfenbeinküste teil. Neben dem Dauerbrenner Flucht und Migration wird dabei auch das Thema "Investitionen in die Jugend" ganz oben auf der Agenda stehen. Das ist richtig und logisch, denn Afrika ist der jüngste Kontinent der Welt. Rund 60 Prozent der Bevölkerung sind keine 25 Jahre alt. Mit europäischer Unterstützung wollen die Afrikaner jetzt dafür sorgen, dass die Jugend zum Segen und nicht zum Fluch für den Kontinent wird.

Für die Europäer sind die Themen Flucht, Migration und Jugend ohnehin nicht voneinander zu trennen. In den Flüchtlingsbooten, die jeden Tag von der libyschen Küste in Richtung Europa ablegen, drängen sich hauptsächlich junge Männer und Frauen. Doch auch Babys und Kinder sitzen und ertrinken in den überfüllten Kähnen. Die Europäer wollen den Zuzug weiterer Flüchtlinge aus Afrika begrenzen und Tragödien, wie sie sich immer noch jede Woche auf dem Mittelmeer abspielen, tunlichst verhindern. Dabei setzen sie verstärkt auf eine Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern.

Die afrikanischen Regierungschefs wissen freilich um den Druck, unter dem ihre europäischen Amtskollegen stehen - entsprechend selbstbewusst gehen sie in die Verhandlungen. Sie wissen, dass die Europäer unter dem Stichwort "Fluchtursachen bekämpfen" gewillt sind, viel Geld locker zu machen und auch mit Regierungen zu verhandeln, die bisher unter anderem wegen ihrer Menschenrechtsverletzungen nur mit spitzen Fingern angefasst wurden. Doch es griffe zu kurz und wäre nicht fair, den afrikanischen Regierungen zu unterstellen, sie würden nur die Not der Europäer ausnutzen wollen. Es geht ihnen tatsächlich auch um ihre Jugend.

Wahlen in afrikanischen Staaten werden europäischen Ansprüchen oft nicht gerecht. Das hat zuletzt wieder die Wahl in Kenia gezeigt. Nichtsdestotrotz werden auch afrikanische Politiker gewählt. Ein Großteil ihrer Wähler sind auf Grund der Demografie junge Erwachsene. Ihnen machen die Kandidaten Versprechen. Und wenn diese Versprechen eines würdigen Lebens, einer guten Ausbildung und anschließend vernünftiger Verdienstmöglichkeiten nicht gehalten werden, kann das für die Regierenden gefährlich werden. Das hat nicht nur der Arabische Frühling im Norden des Kontinents gezeigt. Zudem hindert die oft dramatische Jugendarbeitslosigkeit bei gleichzeitig alarmierendem Fachkräftemangel die wirtschaftliche Entwicklung ganzer Volkswirtschaften.

Manche afrikanische Staatschefs, wie der gerade in Simbabwe zum Rücktritt gezwungene Diktator Robert Mugabe, mögen ihr Amt nach wie vor als Möglichkeit zur schamlosen Selbstbereicherung sehen. Andere, wie Ghanas neuer Präsident Nana Akufo-Addo, sind wohl tatsächlich angetreten, um neue Arbeitsplätze für junge Menschen zu schaffen und die Lebensbedingungen ihrer Bevölkerung zu verbessern. Verlässt diese jedoch in Scharen das Land, entzieht dies jeder Regierung die Legitimität - eine Währung, die auch in afrikanischen Demokratien stark an Wert gewinnt.

Drohungen der Europäer werden ernstgenommen

Zudem knüpfen die europäischen Geber ihre finanziellen Zusagen immer häufiger an Fortschritte bei der Begrenzung der Migration. 21 Milliarden Euro Entwicklungshilfe haben die EU und ihre Mitgliedstaaten Afrika alleine im Jahr 2016 gewährt. Damit sind sie die größten Geber. Auf die Zuwendungen des Nachbarkontinents wollen die afrikanischen Staaten auch in Zukunft nicht verzichten, entsprechend ernst nehmen viele Regierungen zwischen Tunis und Johannesburg mittlerweile die Drohungen der Europäer.

Die meisten jungen (und alten) Menschen in Afrika sind sehr heimatverbunden. Und viele von ihnen haben mittlerweile Smartphones. Ich habe in Städten, Dörfern, Flüchtlingslagern, Häfen, Stränden und auf Müllkippen immer wieder mit jungen Männern und Frauen gesprochen, die ihre Heimat in Richtung Europa verlassen wollten oder dies bereits getan hatten. Obwohl sie wussten, dass ihnen in den Flüchtlingslagern in Libyen unmenschliche Bedingungen, Vergewaltigung und Folter drohen; obwohl sie wussten, dass die Fahrt über das Mittelmeer immer gefährlicher wird. Oft entschieden sie sich dennoch dafür, in Europa ihr Glück zu suchen. Nicht nur, weil sie daheim keine Arbeit finden konnten, sondern auch, weil ihnen dort immer noch oft fundamentale Kinder-, Frauen- und Menschenrechte verwehrt wurden oder sie vor einem Krieg fliehen mussten.

Sieben Wochen vor dem Gipfeltreffen der Spitzenpolitiker aus Europa und Afrika versammelten sich in Abidjan bereits junge Afrikaner und Europäer zum vierten Jugendgipfel Afrika-Europa. Sie forderten ihre Regierungen auf, sich stärker für die Themen Bildung und Ausbildung, Frieden und Sicherheit, Demokratie und Teilhabe sowie Umwelt und Klimawandel zu engagieren.

Dass die Teilnehmer des nun laufenden EU-Afrika-Gipfels dazu wohlfeile Absichtserklärungen verabschieden werden, ist zu erwarten. Wieviel davon tatsächlich schnell umgesetzt werden wird, bleibt abzuwarten. Viele junge Menschen in Afrika werden die entsprechende Geduld dafür nicht aufbringen. Viele werden eher bereit sein, ihr Leben auf dem Weg nach Europa zu riskieren, als ihre Jugend in Afrika zu verschwenden.