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Nachbarschaftspolitik kann helfen, Probleme Europas zu lösen

Von Karl Aiginger und Heinz Handler

Gastkommentare
Karl Aiginger (l.) war Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo).

Überlegungen zum EU-Afrika-Gipfel.


Europa beschäftigt sich mit internen Problemen, schwacher Dynamik, Differenzen zwischen Süd und Nord, Ost und West. Und kommt dabei nur schleppend voran: Ungleichheit, Jugendarbeitslosigkeit und Schulden bleiben hoch. Die EU ist heute der größte Wirtschaftsraum der Welt, wird aber bis 2050 auf Rang drei zurückfallen. China wird die Vormacht, oder es entstehen neue Regionalmächte, die Europa nicht freundlich gesinnt sein müssen.

Dabei versäumt es Europa, das hohe Wachstum der Nachbarn im Süden und Osten als Turbo für neue Dynamik zu nutzen. Diese Regionen sind seit 2000 mit 4,5 Prozent pro Jahr dreimal so schnell gewachsen wie die EU-Länder. Mit den Nachbarn als Partner böte Europa gleichauf mit China den größten Wirtschaftsraum, weit vor den USA. Eine Partnerschaft könnte dazu beitragen, regionale Konflikte und Bürgerkriege einzudämmen und so die Fluchtursachen an der Wurzel zu bekämpfen. Aber: Nachbarschaftspolitik hat keine hohe Priorität in der EU.

Europa muss Signale setzen. Der EU-Afrika-Gipfel wird zum Prüfstein, ob eine Partnerschaft möglich ist. In deren Zentrum müssen Bildung und Wissenstransfer stehen. Ein Austauschprogramm für Schüler, Studenten, Lehrer, Internetnutzer, aber auch Facharbeiter sollte entwickelt werden. Mit dem Ziel, dass vielleicht ein Dutzend künftige afrikanische Staatschefs oder Wirtschaftsminister Schüler oder Lehrlinge in Europa waren. In Partnerschaft mit Europa kann Afrika zum Vorreiter ökologischer Lösungen bei Energie, Transport, Wohnbau werden. Dezentrale Lösungen können dann auch in Europa genützt und gemeinsam der Dominanz Chinas bei Großprojekten entgegengestellt werden. Dazu muss Europa erst ein vertrauenswürdiger Partner werden, indem es bestehende Hindernisse für Afrika beseitigt: Dazu zählen Subventionen, aber auch Importeinschränkungen in der Landwirtschaft und die Bereitschaft, Fluchtkapital von Potentaten aufzunehmen oder den Transfer in Steueroasen zu unterstützen.

Ist Afrika bereit, an der Verbesserung von Institutionen und Rechtsstaatlichkeit zu arbeiten, sollte Europa die Mittel für die Nachbarschaftspolitik um 100 Milliarden Euro im Jahr ausweiten. Das ist finanzierbar durch einen neuen Investitionsfonds, über "Responsible Investment Bonds" oder mittels Konfiszierung von Fluchtgeld. Gelder aus dem Marshall-Plan (European Recovery Program) sollten wieder für Entwicklungshilfe genutzt und Finanztransaktionen besteuert werden.

100 Milliarden Euro scheinen viel, sie müssen aber verglichen werden mit 300 Milliarden Euro für Militärausgaben und der Notwendigkeit, diese noch zu erhöhen, sollten die Konflikte anhalten. Afrikas Bevölkerung verdoppelt sich bis 2050. Solange das Migrationspotenzial ein Vielfaches des Defizits bei der Arbeitsnachfrage in Europa beträgt, wird Europa mit den negativen Folgen zu kämpfen haben. Populistische Parteien werden profitieren, Zäune werden errichtet, Menschen und Wirtschaft leiden. Die Partnerschaftspolitik der EU entscheidet darüber, ob die Nachbarländer Europa destabilisieren oder ob Europa und seine Nachbarn gemeinsam Arbeitsplätze schaffen und die Globalisierung mitgestalten können.