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Wird ein "Herzensanliegen" Realität?

Von Peter Hilpold

Gastkommentare
Peter Hilpold ist Professor für Völkerrecht, Europarecht und Vergleichendes Öffentliches Recht an der Universität Innsbruck und Autor von mehr als 250 Publikationen. Foto: privat

Klarstellungen zur angestrebten Doppelstaatsbürgerschaft für Südtiroler.


Die Doppelstaatsbürgerschaft, die in den Beziehungen Österreichs zu Südtirol stets als "Herzensanliegen" gepriesen wurde, ist nun zum Greifen nah, da sich die FPÖ in den Koalitionsverhandlungen mit aller Kraft dafür einsetzt und auch die ÖVP dieses Anliegen wohlwollend prüft. Auf der Zielgeraden scheinen nun einige Vorbehalte aufzukommen, die aber vielfach einerseits auf Missverständnissen beruhen und andererseits teils auch von der Intention vorangetragen werden, dieses Projekt insgesamt zu Fall zu bringen. Die zentralen Kritikpunkte erfordern deshalb eine Klarstellung.

So wird behauptet, die doppelte Staatsbürgerschaft sei anachronistisch; die Entwicklung gehe in Richtung europäischer Staatsbürgerschaft. Dieses Argument ist schlichtweg falsch. Es ist vielmehr ein internationaler Trend hin zur doppelten Staatsbürgerschaft festzustellen. Hatten sie 1960 noch zwei Drittel der Staaten abgelehnt, so hat sich dieses Verhältnis nun umgekehrt.

Es gibt soziologische Untersuchungen, die belegen, dass die Zuerkennung einer weiteren Staatsbürgerschaft Gesellschaften nicht zerreißt, sondern festigt. Nur dann, wenn ein starkes wirtschaftliches und rechtsstaatliches Gefälle zwischen den betreffenden Staaten gegeben ist (etwa in der Vergangenheit im Verhältnis zwischen Argentinien und einigen europäischen Staaten), sind gegenteilige Wirkungen erkennbar, und es kann eine Gruppe von Privilegierten und von weniger Privilegierten entstehen. Im Verhältnis zwischen Österreich und Italien sind aber keine derartigen Unterschiede gegeben. Die Gewährung der doppelten Staatsbürgerschaft hätte in Südtirol rein ideellen Charakter.

Dasselbe gilt übrigens für die Position der Südtiroler in Österreich. Mit Ausnahme des Wahlrechts hätten jene, die in Südtirol bleiben möchten, keine weiteren Rechte oder Pflichten, und allfällige Zweifelsfälle ließen sich gesetzlich ausräumen. Sollten Südtiroler hingegen ihren Wohnsitz nach Österreich verlegen, so stünden ihnen einige wenige weitere Möglichkeiten offen, die nicht auch schon allen EU-Bürgern zustehen, wenn sie vom Freizügigkeitsrecht Gebrauch machen. So könnten sie verschiedene Berufe im hoheitlichen Bereich ausüben, die ihnen jetzt verwehrt sind. Wie in jeder Arbeitsbeziehung wäre das Verhältnis der Rechte und Pflichten aber auch hier ausgeglichen: Die Neubürger könnten sich um einige weitere hochattraktive Stellen bewerben, die Republik könnte aus einem größeren Pool von hochqualifizierten Bewerbern schöpfen. Die Steuern wären in Österreich zu bezahlen, und bei Vorliegen der Voraussetzungen wäre auch der Militärdienst in Österreich zu leisten. Insgesamt müsste also das Interesse Österreichs, weitere hochqualifizierte Bürger zu gewinnen, mindestens ebenso groß sein wie das Interesse der Betreffenden an diesen Berufen und Funktionen.

Neubürger als Wählerpotenzial

Das Wahlrecht der Neubürger ließe sich auch einschränken, so wie das Italien in Bezug auf die Auslandsitaliener vorexerziert, doch wäre dies nur mit einer Verfassungsbestimmung möglich. Andernfalls könnten Südtiroler mit Doppelstaatsbürgerschaft gleichberechtigt ihr aktives und passives Wahlrecht in Österreich ausüben. Ganz abgesehen davon, dass voraussichtlich bei weitem nicht alle Anspruchsberechtigten tatsächlich um die doppelte Staatsbürgerschaft ansuchen würden, wäre auch davon auszugehen, dass nur ein Teil der Neubürger vom Wahlrecht Gebrauch machen würde. Und das wären wahrscheinlich jene, die tatsächlich an der österreichischen gesellschaftlichen Realität interessiert sind, vielleicht auch verstärkte Bande mit Österreich aufweisen und für die Mitgestaltung ein persönliches, uneigennütziges Anliegen ist. In Zeiten ständig steigender Wahlmüdigkeit wäre das ein auch demokratiepolitisch interessantes (wenngleich numerisch nur geringfügig relevantes) Wählerpotenzial.

Kürzlich ist allerdings eine alternative Idee aufgetaucht: Statt der Doppelstaatsbürgerschaft sollte die Schutzfunktion gestärkt werden, und zwar durch ihre Verankerung in der Verfassung. Dieser Vorschlag überzeugt nicht. Rechtlich würde diese Initiative nichts bringen, eher das Gegenteil. Italien hat wiederholt erklärt, ein solches Vorhaben als Beeinträchtigung der gutnachbarschaftlichen Beziehungen zu sehen (während eine doppelte Staatsbürgerschaft nicht abgelehnt werden könnte, da diese Italien den Auslandsitaliener selbst gewährt). Es wäre sogar die Gefahr gegeben, dass damit die Schutzfunktion laut Pariser Vertrag geschwächt würde, da eine solche Initiative Zweifel an der bestehenden völkerrechtlichen Absicherung der Schutzfunktion laut Pariser Vertrag 1946 aufwerfen könnte.

Ein rein ideelles Anliegen

Fazit: Die doppelte Staatsbürgerschaft ist in der Essenz ein rein ideelles Anliegen, das aber in Österreich und in Südtirol sehr stark empfunden wird. Die Gewährung der doppelten Staatsbürgerschaft wäre ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Verwirklichung eines international einzigartigen Minderheitenschutzmodells, das Grenzen rechtlich nicht in Frage stellt, sondern ihre Bedeutung im Empfinden der Betroffenen weitgehend relativiert hat. In diesem Sinne wäre die Gewährung der Doppelstaatsbürgerschaft tatsächlich Ausdruck des gegenwärtig vielbeschworenen "europäischen Geistes".