Zum Hauptinhalt springen

Europa muss sozial sein, oder es wird nicht sein

Von Evelyn Regner

Gastkommentare

Gastkommentar: Die Sozialunion ist die Zukunft der EU.


In seinem Gastkommentar vom 28. November hat der Sozialwissenschafter Bernd Marin die Sozialunion zu einer hohlen Beschwörungsformel erklärt. In der Diagnose gebe ich ihm teilweise recht. Das soziale Europa wird in Sonntagsreden beschworen, in der Praxis zeigt sich aber, dass in Europa die Verteilung des Wohlstandes immer weiter auseinanderfällt und sich nicht annähert. Der Traum vom gemeinsamen Europa verspricht uns einen Kontinent, auf dem sich die Lebenschancen angleichen. Das passiert nicht. Doch was schließen wir daraus?

Aufgeben und akzeptieren, dass uns ein sozialeres Europa nicht gelingt? Aber was wäre die Folge? Wenn wir die immer größeren Unterschiede an Wohlstand, Arbeitsrechten oder Aufstiegschancen nicht angehen, zerfällt Europa. Wir sehen das zwischen den Staaten, wenn wir etwa die Lebenschancen in Österreich mit jenen in Bulgarien vergleichen. Wir sehen es aber auch innerhalb der Staaten, wenn wir Abwanderungsgemeinden in ländlichen Regionen mit Wien und anderen Städten vergleichen.

Die Konservativen sagen uns seit Jahren, dass wir das hinnehmen müssen. Denn irgendwann würden die wundersamen Kräfte des Marktes alle Unterschiede ausgleichen. Doch das geschieht nicht. Die Rechtspopulisten versprechen, dass uns die Nationen retten werden. Aber wir sehen, dass die Staaten die großen Probleme unserer Zeit - den Klimawandel, die Migration oder die Steuerpflicht - nicht alleine lösen können. Uns Progressiven in Europa ist klar, dass es nur eine Lösung gibt: Wir müssen die soziale Dimension Europas stärken, nur dann werden die Bürgerinnen und Bürger wieder an den europäischen Traum glauben. An ein Europa, in dem alle vom Wohlstand profitieren und es unseren Kindern einmal besser geht.

Konzepte liegen auf dem Tisch

Ich stimme Bernd Marin nicht zu, dass es keine Konzepte für das soziale Europa gibt. Sie liegen seit langem auf dem Tisch. Wir müssen Mindeststandards für Löhne Arbeits- und Sozialrechte definieren. Dasselbe gilt für die Steuern, wo wir den schädlichen Steuerwettbewerb nach unten beenden müssen, der uns am Ende alle ärmer macht. Auch bei den Unternehmenssteuern müssen wir uns zu Mindeststandards durchringen. Denn nur mit gemeinsamen Standards können wir die europäischen Freiheiten, wie die Möglichkeit, sich in jedem Mitgliedsland niederzulassen und dort zu arbeiten, aufrechterhalten. Nur wenn für alle die gleichen Bedingungen gelten, werden das die Bürgerinnen und Bürger akzeptieren.

Der Sozialgipfel von Göteborg war ein wichtiger Schritt zu einem sozialen Europa. Der Fahrplan wurde festgelegt. Erstmals in der Geschichte der EU haben sich die Staats- und Regierungschef nur dem Sozialen gewidmet. Doch der Weg zu Gesetzesmaßnahmen ist ein weiter, und es wird viele Widerstände geben. Dennoch, wirklich wichtige Politik ist immer ein Bohren dicker Bretter und kein Aufgeben beim ersten Widerstand. Die Sozialdemokratie muss sich an die Spitze der Bewegung für ein sozialeres Europa stellen. Denn wir wissen: Europa wird sozial sein, oder es wird nicht mehr sein.

Evelyn Regner ist Delegationsleiterin der SPÖ im EU-Parlament.