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Man wird doch wohl noch "Tod den Juden" schreien dürfen!

Von Stefan Frank

Gastkommentare
Stefan Frank ist freischaffender Publizist in Deutschand. Er schreibt regelmäßig über Antisemitismus und andere gesellschaftspolitische Themen, unter anderem für die Websites Mena-Watch.com und Audiatur-Online.ch sowie die Monatszeitung "Jüdische Rundschau". Langfassung des Kommentars im Internet: www.mena-watch.com privat

Wer in Europa heutzutage "Tod den Juden!" ruft, gehört zu einer verfolgten Minderheit: Er läuft Gefahr, Opfer des Antisemitismusvorwurfs zu werden. Auf diesen Skandal machte die Kultur- und Sozialanthropologin Liza Ulitzka am 20. Dezember an dieser Stelle in einem Gastkommentar aufmerksam. Sie war empört, dass "man in Österreich und Deutschland (. . .) entsetzt (. . .) auf die ‚judenfeindlichen und antisemitischen‘ Demonstrationen" blicke. Sollte man sie etwa begrüßen?

Zumindest müsse man relativieren und beschwichtigen, erklärte Ulitzka: "Das deutsche Nachrichtenmagazin ‚Spiegel‘ berichtete (. . .) von ‚blankem Hass gegen Israel und gegen Juden‘ und ‚israelbezogenem Antisemitismus‘, den die Redakteure auf einer Demonstration in Berlin zu beobachten vermeinten. Der Begriff ‚Antisemitismus‘ ist zu einer Art Allzweckreiniger verkommen. Jegliche Kritik am Staat Israel und an dessen brutalen Siedlerkolonialismus ist mit einem Antisemitismus-Wisch einfach weg."

Die Redakteure hätten sich demnach den Antisemitismus bloß eingebildet. Ein Ausschnitt aus dem besagten "Spiegel"-Artikel: "‚Khaybar, Khaybar, oh ihr Juden‘, skandierten die jungen Männer mit hasserfüllten Augen vor dem hell erleuchteten Christbaum am Brandenburger Tor, ‚die Armee Mohammeds wird zurückkehren!‘ Eine antisemitische Anspielung auf die einst von Juden besiedelte und nach islamischer Überlieferung von den Kämpfern des Propheten Mohammed eroberte Oase Khaybar im heutigen Saudi-Arabien."

Der Begriff "Verzweiflung" ist ein Codewort für blinden Hass

Die Autoren erinnerten daran, dass es ähnliche Demonstrationen 2014 während des Gaza-Konflikts gab ("Hamas, Hamas, Juden ins Gas!"). Wer so etwas ruft, wehrt sich Ulitzka zufolge dagegen, "aus seinem Haus vertrieben zu werden, dass seine Kinder wegen eines Steinwurfes verhaftet werden" usw. "Und wenn er dabei aus Wut eine Flagge dieses Staates verbrennt, dann hat das ebenfalls nichts mit Antisemitismus zu tun. Dann ist das ein Ausdruck von Wut, Verzweiflung und Hilflosigkeit." Und wenn andere meinen, dass man Verzweiflung und Hilflosigkeit noch besser ausdrückt, indem man Synagogen anzündet oder koschere Restaurants angreift - wie es diesen Monat in Göteborg und Amsterdam geschehen ist -, dann hat auch dies sicherlich nichts mit Antisemitismus zu tun. Der hier benutzte Begriff "Verzweiflung" ist ein Codewort für blinden Hass.

Im Jänner hatte Ulitzka in einem Zeitungsbeitrag geschrieben: "Und selbst wenn es sich bei den Opfern von Anschlägen in Israel um Zivilisten handelt, was auch oft genug der Fall ist, sind all diese Taten letztendlich ein Ausdruck verzweifelten Widerstandes gegen die israelischen Besatzer, die die palästinensische Bevölkerung seit Jahrzehnten in Gaza und im Westjordanland schikanieren und töten."

Keine Juden mehr in den meisten arabischen Ländern

Für neuerliche Gewalt gegen Juden hat sie eine Rechtfertigung: US-Präsident Donald Trump habe "Jerusalem zur Hauptstadt Israels gekürt". In der Oase des Friedens, die die arabische Welt für gewöhnlich ist, "brennt es wieder, auf den Straßen und in den Köpfen". Die Wut über diesen Schritt in vielen arabischen Ländern und in den muslimischen Gemeinden in Europa sei "nicht in Worte zu fassen". Daraus folgt: "Man lässt Fäuste, Feuer und Waffen sprechen."

Dass aber viele Araber gegen Juden am liebsten Fäuste, Feuer und Waffen haben sprechen lassen, war schon vor Trumps Rede zu Jerusalem so, vor 1967 und vor der israelischen Staatsgründung 1948. Man denke an die Massaker an Juden in Hebron im August 1929 oder die Pogrome, die es 1945 in Ägypten und Libyen gab. In den meisten arabischen Ländern gibt es heute keinen einzigen Juden mehr; und sie sind gewiss nicht vor "Kritik am Staat Israel" geflohen.

Dass immerzu Fäuste, Feuer und Waffen sprechen, ist nicht die Folge einer Misere, sondern deren Ursache. Dass sich daran nichts ändert, hat auch mit all jenen zu tun, die die Gewalttäter bei ihrem mörderischen Tun anfeuern und selbst in radikalsten Äußerungen des Judenhasses keinen Antisemitismus erkennen können wollen.