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Zwei Schritte vorwärts, einer zurück

Von Irene Giner-Reichl

Gastkommentare

Zwei Jahre Pariser Abkommen - eine ernüchternde Zwischenbilanz.


Vor zwei Jahren feierte die internationale Gemeinschaft das Zustandekommen des Pariser Abkommens zum Klimawandel als einen wichtigen Durchbruch. Der Anstieg der globalen Erwärmung sollte unter 2 Grad Celsius bleiben, und alle Länder sagten zu, die Treibhausgasemissionen so niedrig wie möglich zu halten. Dabei würden sie frei sein, in ihren "National Festgelegten Beiträgen" die jedem Land am besten entsprechenden Klimapfade zu beschreiten. Reiche Länder würden den armen Ländern zudem helfen, auf saubere Energien umzusteigen und Widerstandsfähigkeit gegen Naturkatastrophen aufzubauen.

Zwei Vertragsparteien-Konferenzen später (November 2016 in Marrakesch und Mitte November 2017 in Bonn, unter dem Vorsitz von Fidschi) ist die Wissenschaft mit zunehmend besorgniserregenden Erkenntnissen über die Intensität des Klimawandels an die Öffentlichkeit gegangen. Der Leiter des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung, Hans Joachim Schellnhuber, fasste die Warnungen der Klimaforscher unter dem Titel "Die zehn ‚Must-Knows‘ zum Klimawandel" zusammen: von steigendem Meeresspiegel und Versauerung der Meere über zunehmende Risiken bei Extremwetterereignissen bis hin zum Kollisionskurs mit klimatischen Kipp-Punkten der Erde. Die zerstörerische Wucht der Orkane und Überschwemmungen im heurigen Jahr hat deutlich gemacht, worauf sich die Menschheit einzurichten hat.

Nachdem 2014 bis 2016 drei Jahre hintereinander die Treibhausgase konstant geblieben waren, wiewohl die Weltwirtschaft um 3 Prozent gewachsen war, und es so ausgesehen hatte, als wäre eine globale Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Anstieg der Treibhausgase gelungen, brachte das Jahr 2017 wieder einen Anstieg in den globalen Treibhausgasemissionen. Ernüchtert muss festgestellt werden, dass die globale Energiewende - bei allen guten Fortschritten im Stromsektor - insgesamt zu wenig und zu langsam stattfindet.

Die Erfolgsstory der erneuerbaren Energieträger

Dabei ist die Geschichte der erneuerbaren Energieträger eine absolute Erfolgsstory. Historische Projektionen über die denkbaren zukünftigen Anteile von Erneuerbaren im Stromsektor oder im Gesamtenergieverbrauch wurden regelmäßig von der Realität übertroffen. Der "Global Status Report" des internationalen Politik-Netzwerks REN21 verzeichnet Jahr für Jahr neue Rekorde:

2016 etwa einen Zuwachs der globalen installierten Kapazität für Stromerzeugung aus Erneuerbaren um 9 Prozent;

praktisch doppelt so hohe Investitionen in erneuerbare Stromkapazität als in fossile Kraftwerke in den vergangenen fünf Jahren;

stark gesunkene Preise, die fast überall und immer Strom aus erneuerbaren Energiequellen gegenüber verschmutzenden Varianten konkurrenzfähig machen.

Blickt man auf ein nationales Ranking, führt China in fast allen Kategorien des Zuwachses der installierten Kapazität von Erneuerbaren (Investitionen insgesamt, Wasserkraft, Photovoltaik, Wind, Solarthermie). China tritt auch zunehmend in das Vakuum ein, das durch den Rückzug der USA auf nationaler Ebene der Klimapolitik (zum Glück abgeschwächt durch das starke und öffentliche Bekenntnis von US-Städten, Provinzen und Wirtschaftskräften zum Pariser Abkommen) derzeit entsteht. Im heurigen August weitete China seine Kooperationen mit Afrika, die bei Öl, Gas und Wasserkraft schon seit Jahrzehnten bestehen, signifikant auf den Bereich der Erneuerbaren aus.

Bolivien, Senegal, Jordanien, Honduras, Island an der Spitze

Berücksichtigt man die Größe der Volkswirtschaften, sind Länder wie Bolivien, Senegal, Jordanien, Honduras oder Island an der Spitze der REN21-Champions für erneuerbare Energien, was zeigt, welchen Unterschied entschlossene politische Weichenstellungen machen. Der Weg in Richtung fossil-freie Welt ist nicht nur ökologisch unverzichtbar, er ist - wie Länder, Städte, Unternehmen und einzelne Haushalte in allen Regionen der Welt täglich demonstrieren - auch ökonomisch attraktiv.

Um die Klimaziele des Pariser Übereinkommens zu erreichen, müssen so viele der beträchtlichen fossilen Energievorkommen wie nur irgend möglich unangetastet im Boden belassen werden. Da im Stromsektor Erneuerbare schon recht gut verankert sind, muss das Augenmerk jetzt auf Heizen, Kühlen und Transport gelegt werden. Zudem sind Frauen sind im Energiesektor notorisch unterrepräsentiert. Es gilt, ihre Mitwirkung auf allen Ebenen zu verbessern. Kluge Stadtpolitik (Smart City) hat besonderes Potenzial, Energiefragen integriert und systemisch zu bewältigen.

Die UNO wird in den nächsten Monaten unter anderem die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele zu Wasser und Abwasserentsorgung, nachhaltiger Energie für alle, Stadtentwicklung und nachhaltigen Konsum- und Produktionsweisen überprüfen. Jede Initiative, die wichtige Akteure motiviert - der bevorstehende "One Planet"-
Klimagipfel in Paris etwa zielt besonders auf den Finanzsektor ab - ist begrüßenswert als weiterer Schritt in die richtige Richtung.