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Politik nach dem Zalando-Prinzip

Von Adrian Lobe

Gastkommentare
Adrian Lobe hat Politik- und Rechtswissenschaften in Tübingen, Paris und Heidelberg studiert und ist freier Journalist in Stuttgart.

Überall heißt es, die Politik müsse "liefern". Das politische System ist jedoch kein Lieferdienst, sondern gemeinwohlorientiert.


Vor einigen Wochen hatte US-Präsident Donald Trump eine frohe Kunde für seine Wähler: "Heute liefere ich", sagte er und verkündete stolz, dass sein Land Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkennen werde. Diese Aussage war programmatisch zu verstehen. Politik ist zu einem Bestellvorgang à la Amazon geworden: Der Kunde (vormals Wähler) bestellt, die Politik liefert. Allenthalben heißt es, die Politik müsse "liefern". Bloß was? Programme? Pakete (Hilfspakete, Konjunkturpakete)? Oder allgemein Erbauliches wie Sonntagsreden? Ist die Politik überhaupt in einer Bringschuld oder liegt nicht auch beim Bürger eine gewisse Holschuld, wie sie US-Präsident John F. Kennedy einst formulierte ("Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann - fragt, was ihr für euer Land tun könnt!").

Die Rhetorik von der "liefernden" Politik ist ein Symptom unserer datengetriebenen, nervösen Internet-Gesellschaft. So schnell Amazon oder Zalando Pakete liefern, so zügig soll die Politik Lösungen am besten noch am selben Tag ("same-day-delivery") liefern. Donald Trump versteht sich auf dieses Zalando-Prinzip (oder landestypisch: Amazon-Prinzip) perfekt: Er "liefert" beziehungsweise serviert jeden Morgen auf Twitter für seine Anhänger leicht, für seine Gegner schwer bekömmliches informationelles Fast-Food auf 140 Zeichen.

Die Politik reagiert damit auf ein Verlangen der - möglicherweise ob der Klick-Ökonomie und ständigen Erreichbar- und Verfügbarkeit immer ungeduldigeren - Wähler, die Ergebnisse lieber heute als morgen sehen wollen und jeden Zukunftsplan oder gar Vision als ein Versprechen sehen, das sowieso nie eingelöst wird. Die Besteller wollen nicht lange warten, sie wollen Expresslieferungen bis an die Haustür. Daher kommt auch das sinnfreie Gerede, man müsse die Bürger "mitnehmen" oder "abholen", als wäre Politik ein Abholservice, der die mobilitätseingeschränkten (und mobilisierungsmüden) Bürger mitnehme.

Die Politologin Alison Dagnes hat den Effekt, den 24 Stunden sendende Medien auf Entscheider haben, in ihrem Buch "Politics on Demand: The Effects of 24 Hour News on American Politics" beschrieben. In den Endlosschleifen der Nachrichtensender sind Politiker systemisch gezwungen, irgendetwas zu sagen und auf Ereignisse zu reagieren, statt Themen zu durchdringen und strategisch zu durchdenken. In einem medialen Ökosystem, in dem sekündlich Tweets abgesetzt werden und sich Twitter-Gewitter als Shitstorms entladen, sind Politiker nur noch Getriebene.

Dieser der Zalando-Politik immanente Sofortismus führt letztlich dazu, dass Politiker immer öfter "liefern" müssen, weil die Wähler auf das Eintreffen ihrer Lieferung warten, und dringend notwendige Reformen in immer kleinteiligere Pakete verpackt werden. Politiker sind in der Aufmerksamkeitsökonomie nur noch damit beschäftigt, irgendwelche Programme in neuer Verpackung effektvoll zu Markte zu tragen. Politik, die nach dem Zalando-Prinzip operiert, behandelt den Wähler als Verbraucher, der außer ein paar Gewährleistungsrechten keine Rechte hat. Politik ist jedoch kein Lieferdienst, sondern ein System, das im Dienst der Allgemeinheit steht.