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Vom Humanismus zum Humankapital

Von Karl Pangerl

Gastkommentare
Karl Pangerl ist Geograf und AHS-Lehrer in Oberösterreich. Foto: privat

Bildung - die Geburt des Gewissen im Ungewissen. Beurteilung darf nicht länger als Selektionsmechanismus missinterpretiert werden.


Der Frage nach Qualität und Beurteilung von Lehrern gehen jene nach dem Sinn von Unterricht und der Definition von Demokratie voraus. Bis zur Ära der Bildungsministerin Elisabeth Gehrer wurde in den Konferenzzimmern lebhaft diskutiert: über Methoden, Projekte, Leitbilder, Reformen. Diese Debatten sind verstummt. Seit dem EU-Vertrag von Lissabon sollte Wissen zählbar, Kompetenz verfügbar werden. Nicht eine aus dem Geist von Humanismus und Aufklärung geborene pädagogische Diskussion kreiste um das Wohl der Kinder und Jugendlichen, sondern eine vertestete "Objektivierung" setzte künstliche Maßstäbe. Das Wahre, Gute und Schöne wich einem Akronym: PISA.

In selbständiges Denken und Wirken entlassene Akademiker wurden zu lebenslangen Studenten degradiert, denen ihre Studienkennzahl für schulische Fort- und Weiterbildung eingebrannt wurde. Nun der nächste Schritt: ihre Wieder-Beurteilung?

Lehrmeister Geschichte

Was aber wäre der Beurteilungsmaßstab? Wer vermag zu sagen, wie die Welt in zehn Jahren, einem Jahr, einem Monat aussehen wird? Die Herausforderung, vor der wir stehen - Politik, Lehrer, Schüler, Eltern, alle - ist, auf dem Flug ins Ungewisse aus uns als Gemeinschaft heraus Geschichte zu entwickeln. Jeder Einzelne schreibt diese. Worauf es dabei ankommt, ist, sich aufeinander verlassen zu können und miteinander an diesem Megaprojekt zu arbeiten - auch in der Schule.

Wenn wir mehr direkte Demokratie wollen, muss der Diskurs wieder in die Konferenzzimmer Einzug halten: einer, der die Herausforderung sucht, getrieben von Entdeckergeist, dem Verlangen nach dem Bestmöglichen, nach Individualität. Was sind die neuesten Entwicklungen in der Welt? Was sind die Fragen dahinter, auf die es im Leben ankommt? Welches Ziel verfolge ich mit der Klassengemeinschaft? Welche ist die beste Methode? Wie werde ich diesem Schüler oder jener Schülerin gerecht?

Die Kinder sollen gar nicht erst Angst bekommen und die Eltern ihre ablegen, indem die Schulpartner wieder einander vertrauen. Schule ist lebendige Gemeinschaft - von der Basis bis zur ministeriellen Spitze, innerhalb derer man im offenen Dialog den pädagogischen Kosmos entwickelt und Korrekturen der kritisch-konstruktiven Begegnung Gleicher ebenso wie aufrichtiger Selbstkritik entspringen.

Evolution statt Selektion

Vizekanzler Heinz-Christian Strache hat jüngst zwei mutige Aussagen getroffen: zum einen - sinngemäß -, dass Liebe und Politik kein Widerspruch sein sollen; und zum anderen, dass jeder Mensch endlich ist. Dieser existenziellen Verletzlichkeit entspringen seine Würde und Bestimmung. Sie erschöpfen sich nicht darin, sein Leben lang beurteilt zu werden. Der Mensch ist frei und in Freiheit zu Verantwortung geboren. Da jede und jeder als Individuum erst Erfüllung findet, wenn sie oder er teilen kann, wird das Band des Miteinander immer eine stärkere Kraft ausüben als reflexhaftes Beurteilen dort, wo Mut und Bereitschaft enden, sich auf den Anderen einzulassen.

Beurteilung darf nicht länger als Selektionsmechanismus missinterpretiert werden. Als Reflexion muss sie Hilfe sein, Orientierung geben über Weg und Ziel und die Qualität des Dialogs. Eine Dialogkultur aber lebt von den Zwischentönen, ist gelebte Beziehung. Diese gilt es zu entwickeln.