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Was können Sanktionen?

Von Anton Shekhovtsov

Gastkommentare
Anton Shekhovtsov ist Visiting Fellow am Institut für die Wissenschaften vom Menschen in Wien. Seine neueste Veröffentlichung "Russia and the Western Far Right: Tango Noir" (Verlag Routledge) analysiert die Verbindungen zwischen dem Kreml und rechtsextremen Akteuren im Westen. Foto: Rahil Ahmad

Außenministerin Kneissl liegt falsch mit ihrer Kritik an den Russland-Sanktionen.


In einem unlängst veröffentlichten Interview mit dem Kurier (vom 8. Jänner 2018) äußerte sich die österreichische Außenministerin Karin Kneissl mit einer Reihe überraschender Aussagen zu den Sanktionen, die von der westlichen Staatengemeinschaft gegen Russland auf Grund der Krimannexion und der immer noch andauernden Invasion im Osten der Ukraine eingeführt wurden.

Insbesondere behauptete Kneissl, "dass die einzigen Sanktionen, die zu einem Ergebnis geführt haben, die Sportsanktionen gegen die Republik Südafrika waren" und dass sich "die [Russland-Sanktionen, Anm.] als stumpf erwiesen" hätten.

Diese Einschätzungen sind leider irreführend, und es ist wichtig, der österreichischen Öffentlichkeit zu erklären, weshalb genau sie in die Irre führen.

Wenn wir von gezielten internationalen Sanktionen sprechen, dann ist es von grundlegender Bedeutung, zwischen verschiedenen Sanktionsarten zu unterscheiden, und sich darüber im Klaren zu sein, dass Sanktionen unterschiedliche Ziele besitzen. Auf der Basis der existierenden, akademischen und analytischen Fachliteratur lässt sich die folgende Grobeinteilung vornehmen: (1) personenbezogene Sanktionen, (2) diplomatische Sanktionen, (3) sektorale Sanktionen, (4) güterbezogene Sanktionen und (5) Sanktionen im Finanzsektor. Jede Sanktionsart besitzt weitere Unterarten: so können personenbezogene Sanktionen beispielsweise Einreiseverbote und die Sperrung von Vermögenswerten beinhalten, sektorale Sanktionen Waffenembargos und Einschränkungen des Flugverkehrs, Sanktionen im Finanzsektor Investitionssperren und die Sperrung von Vermögenswerten der Zentralbank, usw.

Gezielte Sanktionen können drei Absichten besitzen: (1) eine Verhaltensänderung des Sanktionsziels zu erzwingen, (2) ein sanktioniertes Ziel bei der Durchführung einer bestimmten Aktivität einzuschränken, und (3) einem Sanktionsziel die Verletzung einer internationalen Norm zu signalisieren. Der Erfolg von Sanktionen muss sich grundsätzlich an Hand der verfolgten Absichten, oder außenpolitischen Zielen, messen lassen. Anders formuliert: wenn es um die Einschätzung der Effektivität von Sanktionen geht, dann stellen wir uns Fragen wie: "Waren wir erfolgreich darin, ein Regime zu einer Verhaltensänderung zu zwingen?", oder: "Haben wir es geschafft, den Zugang eines Ziels zu Ressourcen einzuschränken, welche es benötigt, um seine geächteten Aktivität zu verfolgen?", oder: "Haben wir es klar genug gemacht, dass das Verhalten eines Ziels internationale Normen verletzt?"

Wenn Ministerin Kneissl behauptet, dass die einzigen erfolgreichen Sanktionen diejenigen gegen Südafrika gewesen seien, dann steht dies im Widerspruch zu dem gesammelten Fachwissen, welches zu gezielten internationalen Sanktionen vorliegt.

1. Sanktionen mit der Absicht einer Erzwingung waren erfolgreich in den Fällen Elfenbeinküste (Côte d’Ivoire), Nordkorea und Somalia.

2. Sanktionen mit der Absicht einer Einschränkung waren erfolgreich in den Fällen Angola, Nordkorea, Haiti, Liberia, Libyen und Somalia.

3. Sanktionen mit der Absicht einer Signalisierung waren erfolgreich in den Fällen Angola, Elfenbeinküste (Côte d’Ivoire), Nordkorea, Haiti, Liberia, Libyen, Sierra Leone und Somalia.

Eine Analyse erfolgreicher (und erfolgloser) Fälle der Einführung von Sanktionen in der Geschichte zeigt, dass in keinem Fall gezielter internationaler Sanktionen jemals Erfolge erzielt wurden, wenn nicht mindestens drei (Unter)arten von Sanktionen eingeführt wurden. Die Kombination, mit der üblicherweise Erfolge erzielt werden, besteht aus Waffenembargo, Einreiseverboten und der Sperrung von Vermögenswerten.

Natürlich kennt die Geschichte auch Beispiele erfolgloser Sanktionen – aber diese scheiterten vor allem an einer unglücklichen Kombination von (Unter)arten der eingeführten Sanktionen.

Haben sich nun die Sanktionen gegen Russland als so erfolglos erwiesen, wie Ministerin Kneissl behauptet? Man kann diese Frage nur beantworten, wenn man die Effektivität der Sanktionen mit den drei obengenannten Absichten abgleicht. Es sieht danach aus, dass der größte Erfolg der Sanktionen darin bestand, Russland zu signalisieren, dass die Annexion der Krim und die Invasion im Osten der Ukraine falsch waren: keine bedeutende internationale Organisation, einschließlich der Vereinten Nationen, hat die Annexion der Krim legitimiert, oder die russische Invasion gerechtfertigt. Was Erzwingung angeht, so lässt sich ebenfalls von einem Erfolg sprechen: die Sanktionen – einschließlich der militärischen, nicht-tödlichen Hilfe für die Ukraine, haben Russland davon abgehalten, die gesamte Ost- und Südukraine zu erobern, wie es auf Grund des sogenannten "Neurussland"-Projektes erwartet wurde. Es lässt sich hingegen immer noch schwer einschätzen, ob die Sanktionen Russland eingeschränkt haben, indem sie den Zugang zu Ressourcen beschränkten, welche für die geächteten Aktivitäten – Annexion und Invasion – nötig sind.

Im Großen und Ganzen scheint es irreführend, zu behaupten, dass die Sanktionen gegen Russland erfolglos geblieben seien. Ohne Zweifel lässt sich davon sprechen, dass die russlandbezogenen Sanktionen von unterschiedlichem Erfolg gekrönt waren, was die drei genannten Absichten angeht – man könnte daher überlegen, die Kombination der eingeführten Sanktions(unter)arten anzupassen - im Zusammenspiel mit weiteren politischen und diplomatischen Aktivitäten. Jedenfalls lässt sich daraus nicht der Schluss ziehen, dass die Sanktionen aufgehoben werden müssten. Die Geschichte gezielter internationaler Sanktionen kennt keinen einzigen Fall, in dem ein Ziel eine geächtete Aktivität einfach aus Liebenswürdigkeit eingestellt hätte.