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Wie viel Trump steckt in der EU?

Von Thomas Roithner

Gastkommentare

Wo heute "mehr Europa" draufsteht, ist offenbar auch "mehr Militär" drin.


365 Tage ist Donald Trump nun US-Präsident. Vor genau einem Jahr meinte ich im Gespräch mit der "Wiener Zeitung", die EU müsse sich zwischen einer militärisch dominierten Sicherheitslogik und einer Friedenslogik entscheiden. Hat sie das getan? Und wie viel Donald steckt eigentlich in der EU?

Die jüngere transatlantische Geschichte war und ist eine wechselvolle. Der Kosovo-Krieg der Nato war völkerrechtswidrig, und die EU hielt ihn 1999 für "gerechtfertigt". Die USA forderten nach dem Motto "Die USA kochen, und die EU macht den Abwasch" mehr Geld für Rüstung und mehr Truppen. Das war unter der "Friedenstaube" Bill Clinton. Die EU reagierte mit einer 60.000 Soldaten starken Truppe und einem schlampigeren Verhältnis zum Völkerrecht. Die Neutralität wurde ein gehöriges Stück ausgehöhlt.

Der Elefant im Porzellanladen

Der 11. September 2001 brachte nicht nur in den USA das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit durcheinander. Der völkerrechtswidrig in den Irak einmarschierenden US-Koalition wollten einige EU-Staaten 2003 partout nicht folgen. US-Präsident George W. Bush war der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen. Die Regierung Bush teilte Europa in ein "altes Europa" - die Kriegsgegner - und ein "neues Europa". Das "neue Europa" bestellte prompt Waffen made in USA.

Der deutsch-französische Ärger über Bush war so gewaltig, dass man sich gleich selbst mit mehr Gewaltmitteln ausstattete. Für gute Gewalt, versteht sich. Ab 2003 begann die EU auch ohne die USA militärisch am Balkan und in Afrika aktiv zu werden. US-Präsident Barack Obama wirkte als Porzellankleber. Aber zerbrochen bleibt zerbrochen. Obama konnte das Rad ein Stück zurückdrehen, und die unter Bush geschmähte Nato war wieder obenauf. Beim "Aufstieg und Fall der großen Mächte" (so der Titel eines Buchs des britischen Historikers Paul Kennedy) sind EU und USA heute eher Konkurrenten als Partner.

EU ohne gemeinsame Stimme

EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso sah die Europäische Union in der "Dimension eines Imperiums". Allerdings fehlt da etwas. Vergeblich sucht man Europas gemeinsame Stimme zum Thema Flüchtlinge, zur Konfliktlösung in Syrien, zur Anerkennung des Kosovo oder Palästinas und zum Verbot von Atomwaffen. Auch die Russland-Sanktionen beherrscht Vielstimmigkeit, und alles andere als ein erkennbarer EU-Plan liegt zu Chinas Seidenstraßen-Strategie vor.

Kann man eine mangelnde gemeinsame Außenpolitik mit gemeinsamen Kampftruppen übertünchen? Walter Stützle, Staatssekretär im deutschen Verteidigungsministerium, meinte: "Außenpolitische Gedankenfaulheit mit dem Einsatz von Soldaten zu überspielen, ist folgenschwere Unvernunft." Im besten Fall ist dies wirkungslos, im schlimmsten Fall gefährlich. Der Colt liegt unter dem Polster. Aber auf wen und unter welchen Voraussetzungen soll man schießen?

Battlegroups an der UNO vorbei

Einig war man sich bei der Schaffung militärischer Kapazitäten. Die Eingreiftruppe und die sogenannten Battlegroups der EU für Kampfeinsätze in Wüsten, Hochgebirgen, Dschungel oder Städten stehen operativ zur Verfügung. Die Battlegroups können - auch wenn es bisher noch nicht passiert ist - losschlagen, wenn ein UNO-Mandat nicht als notwendig erachtet wird. Friedensunion und aktiv neutral sieht anders aus.

Die handfesten Resultate: Rund 80 Prozent der Einsatzkräfte aller 36 EU-Auslandseinsätze sind Militärs, nur 20 Prozent sind Zivilpersonen, und davon stellt die Polizei die Mehrheit. Höchst umstrittene Militäreinsätze - alle einstimmig - wahrten EU-Interessen im Kongo oder im Tschad. Gar nicht so selten ist die Sicherung von Ressourcen im Spiel. Aber selbst eine wohlwollende Bilanz ist mehr als mager. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron legt dennoch einen Zahn zu und erklärte jüngst seine "europäische Interventionsinitiative". Wo heute "mehr Europa" draufsteht, ist offenbar auch "mehr Militär" drin.

Verstärkte Aufrüstung

Der EU-Vertrag von Lissabon legt dar, dass sich die Mitglieder "verpflichten, ihre militärischen Fähigkeiten zu verbessern". Kein wichtiges EU-Sicherheitspapier kommt ohne diese Forderung aus. Die damalige hohe Beauftrage der EU, Catherine Ashton, hat dies 2013 verständlich übersetzt: "Wer Frieden will, muss sich rüsten." Die EU-Globalstrategie aus dem Jahr 2016 will "bei den militärischen Spitzenfähigkeiten alle wichtigen Ausrüstungen". Das bedeutet, dass "das gesamte Spektrum an land-, luft-, weltraum- und seeseitigen Fähigkeiten" zur Verfügung stehen muss. Im Sommer 2017 führte die EU-Außen- und Sicherheitsbeauftragte Federica Mogherini aus, dass "in diesem Feld in den vergangenen zehn Monaten mehr erreicht wurde als in den vergangenen zehn Jahren". US-Präsident Donald Trump und der Brexit sind dafür zweifellos Katalysatoren.

Im Juni 2017 wurde der "European Defence Fund" der EU-Kommission präzisiert. Für Forschung und Entwicklung werden bis 2020 etwa 2,5 Milliarden Euro investiert und danach jährlich weitere 5,5 Milliarden Euro. Dies ersetzt kein nationales Rüstungsbudget, sondern stellt das zusätzliche Sahnehäubchen dar. Staatsschulden zur Erhöhung des Sozialbudgets sind verpönt - Schulden zum Kauf von Waffen werden hingegen salonfähig. Der EU-Rüstungsfonds wird sich als "humanitäre Intervention" herausstellen - nämlich als Stab und Stütze der EU-Rüstungsindustrie.

Autoritäre Vertiefung der EU

Schon wenige Tage nach der Präzisierung des "European Defence Fund" präsentierten die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Macron neue Pläne für einen neuen deutsch-französischen Kampfjet und eine "Eurodrohne". Vorhaben für neue Kampfpanzer zeichnen sich ab, und die Rüstungskonzerne zücken die Auftragsblocks. Deutschland und Frankreich sind schon jetzt nach den USA, Russland und China die viert- beziehungsweise fünftgrößten Waffenhändler der Welt. Unter den weltweit zehn größten Waffenexporteuren sind fünf EU-Staaten. Die EU-Globalstrategie besagt: "Unsere Interessen und Werte gehen Hand in Hand." Exportinteressen und Menschenrechte sind dabei allerdings zwei Paar Schuhe.

Unter dem Akronym "Pesco" wird seit Dezember 2017 eine ständig strukturierte Zusammenarbeit etabliert. Eine engere Ad-hoc-Kooperation wird bei Auslandseinsätzen (nicht alle Staaten marschieren) oder Rüstungsprojekten (nicht alle bauen Drohnen) bereits praktiziert. Nun sind die Kriterien von Kerneuropa allesamt militärisch definiert, und in der Folge geben die politisch Willigen und militärisch Fähigen den Ton an. Mitglieder können vertragskonform abgekoppelt werden. Dies fördert nicht die Aushandlung einer gemeinsamen Haltung, sondern stellt vielmehr eine autoritäre Vertiefung der EU dar.

Globale Herausforderungen

Ein Ziel ist, mehr Truppen ins Feld zu bringen. Das Mittel: eine "reale Aufstockung der Verteidigungshaushalte". Die EU - so ihre Befürworter - ist ein Projekt zur Überwindung der Nationalstaaten und des Nationalismus. Im Sicherheitsbereich trifft dies nur äußerst bedingt zu. Nicht die Überwindung, sondern die Hierarchisierung der Nationalstaaten steht im Zentrum.

Der Vorschlag eines zivilen Kerneuropas fragt nach den globalen Herausforderungen. Mitmachen sollen jene Staaten, die bei ziviler Krisenprävention, Abrüstungsprozessen, Vermittlung, Vertrauensbildung und ziviler Konfliktbearbeitung einen schnelleren Weg gehen wollen. Zivil vorbeugen ist besser als hinterher militärisch intervenieren.

Buchtipp:

Thomas Roithner:
Sicherheit, Supermacht und Schießgewähr.
Krieg und Frieden am Globus, in Europa und Österreich
148 Seiten; 12,99 Euro

In 16 journalistischen Beiträgen unterbreitet der Autor Thomas Roithner in dem brandneuen Sammelband auch friedenspolitische Vorschläge. Wie soll es weitergehen nach dem Verbotsvertrag für Atomwaffen? Warum gibt es keine zivilen Friedensfachkräfte im neutralen Österreich einführen? Und warum ständig kurzatmig und hilflos hinter Konflikten herhecheln, anstatt mehr Perspektiven für die zivile Krisenprävention? Ja, warum eigentlich nicht? Gerade in Zeiten massiver globaler Aufrüstung ist ein solches Buch mehr als nötig.