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Wirtschaft und Soziales im Widerstreit

Von Holger Blisse

Gastkommentare
Holger Blisse ist Wirtschafts- und Sozial- wissenschafter und unter anderem auf kreditwirtschaftliche, genossenschaftliche und sozialpolitische Themen spezialisiert.

Die Vereinzelung der Kosten eines digitalen und innovativen Strukturwandels.


Was der neuen Sozialministerin als selbstverständlich erschien, dass nämlich das aus dem Arbeitseinkommen Angesparte den Menschen, die ihren Job und damit ihre Einkommensquelle verloren haben, erhalten bleibt, erweist sich im Verständnis der Regierungsspitze als verhandelbar. Nachvollziehbar, dass niemand das stark beanspruchte System sozialer Sicherheit über Gebühr belasten soll, zumal, wenn er selbst in der Lage wäre, seinen Unterhalt zu bestreiten.

Einen systemimmanenten Anspruch auf ausreichende Versorgung jenseits der bestehenden Mindestsicherung, für deren Bezug das eigene Vermögen bis auf unter 4200 Euro verbraucht sein muss, fordert die Diskussion um ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE). Zumindest einen Ausbildungsplatz für alle Jugendlichen, das war ein Credo der vorangegangen Regierung, um eine nachgefragte Qualifikation für den Arbeitsmarkt aufzubauen.

Kritiker werden einwenden, dass das BGE ausfinanziert und ein Unternehmen an Lehrlingen interessiert sein muss. Doch auch dies verspräche noch keine dauerhafte soziale Absicherung. Es ist die resignative Seite des BGE, dass es eben nicht (mehr) alle immer schaffen werden, ein Erwerbseinkommen zu erzielen. Das BGE erhält jedoch die Wahlmöglichkeit zwischen eigener Aktivität und Resignation aufrecht.

Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die nur so vor Ideen sprudeln und diese um fast jeden Preis und, ausgestattet mit dem erforderlichen Kapital, ohne Rücksicht auf Verluste umzusetzen versuchen. Denn das digitale Zeitalter bietet immer mehr Möglichkeiten für Erfindungen, Gründungen und Innovationen. Doch je mehr wir im Sinne von Fortschritt und Wachstum verändern (müssen), desto weniger gibt es eine Garantie, den erlernten Beruf, die erworbenen Qualifikationen ein Leben lang oder Ideen in einem Unternehmen auf Dauer einkommenswirksam erhalten zu können. Dafür ist die Konkurrenz inzwischen weltweit zu stark.

Unser Wirtschaftssystem lebt davon, mittels (immer mehr) Innovationen und unternehmerischen Innovationsträgern (Start-ups) über die schöpferische Zerstörung des Bestehenden Neues zu schaffen. Damit fallen immer mehr aus dem System heraus. Je schneller die Veränderung, desto klarer sind die Intentionen dieses Spiels: Zu Lasten menschlicher Gesundheit und Einsatzfähigkeit aufgrund nur noch temporär gültiger Qualifikationen werden einseitig Investitionsvorteile aus erfolgreich verlaufenden Projekten (Innovationen) realisiert. Wer nicht in der Lage ist, sich vertraglich genug abzusichern oder Reserven anzulegen, zahlt auch nach seinem Ausscheiden aus dem Spiel weiter ein. Der zunehmend erforderlichen Spezialisierung steht deren Entwertung durch Innovationen gegenüber. Es bedarf eines sozialen Ausgleichs.

Anregungen aus dem erweiterten Umfeld der Regierung stimmen hier zuversichtlich. Bleibt zu hoffen, dass sie in passende wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen übersetzt werden. Leider ist das angekündigte Ministerium für Wirtschaft und Soziales eine Vision geblieben. Die treibende Kraft der Veränderung ist stattdessen ins Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort eingezogen.