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Als die Bundesländer Demokratie lernten

Von Franz Schausberger

Gastkommentare

Gastbeitrag: 100 Jahre Österreich - ein Blick zurück auf die Landtagswahlen in der Ersten Republik.


In Österreich finden im ersten Viertel des Jahres 2018 vier Landtagswahlen statt: in Niederösterreich, Tirol, Kärnten und Salzburg. Gleichzeitig gedenkt Österreich unter anderem der Gründung der Republik im November 1918. Was liegt da näher, als sich die Landtagswahlen dieser vier Bundesländer in der ersten Periode der Republik anzusehen? Die Frage stellt sich, ob gewisse Parallelen, Kontinuitäten oder aber auch beträchtliche Brüche zwischen damals und heute festzustellen sind.

Nach dem Zusammenbruch der Monarchie wurden im Jahr 1919 die meisten Landtage gewählt. Mit Spannung wurden die Ergebnisse erwartet, hatte man doch keine Erfahrung, wie zum Beispiel die erstmals wahlberechtigten Frauen wählen würden. In Niederösterreich-Land (das bis 1921 mit Wien ein gemeinsames Bundesland bildete), zeigte sich schon bei der ersten Wahl, dass es die Position des christlichsozialen Kernlandes einnehmen würde. Mit mehr als 48 Prozent hatten die Christlichsozialen einen deutlichen Vorsprung vor den Sozialdemokraten mit rund 37 Prozent. Die deutschnationalen Parteien erreichten gerade noch 14 Prozent. Von der Grundtendenz haben sich diese politischen Stärkeverhältnisse bis in die Gegenwart erhalten. Schon 1921 erreichten die Christlichsozialen die absolute Mehrheit.

Der Aufstieg der Nazis im christlichsozialen
Niederösterreich

Grundsätzlich herrschte in Niederösterreich ein stabiler Konsens unter den politischen Eliten. Mit der Bildung einer "Einheitsliste" von Christlichsozialen und Großdeutschen gegen die Sozialdemokraten bei der Landtagswahl 1927 wurden die christlichsozialen Konsenspolitiker von den Vertretern der Heimwehren an den Rand gedrängt. Die ersten Vorboten der Radikalisierung der Landespolitik machten sich bemerkbar, ein Ende der "demokratischen Phase" zeichnete sich ab.

Dadurch, dass Nationalrats-, Landtags- und Gemeinderatswahlen an einem Tag stattfanden, wurden zunehmend die bundespolitischen Konflikte nach Niederösterreich verlagert. Auch die radikalen, aggressiven, Adolf Hitler treuen Nationalsozialisten machten sich lautstark bemerkbar. Noch einmal war eine absolute Mehrheit, diesmal für die Einheitsliste, erreichbar.

Nachdem zu Beginn der 1930er Jahre die Wirtschaftskrise auch Niederösterreich erreichte, wurden das politische Klima und der Stil des Wahlkampfes für die Landtagswahlen 1932 immer aggressiver und waren von der nationalsozialistischen Agitation geprägt. Die Christlichsozialen legten ihren Wahlkampf gegen Marxisten und Nationalsozialisten an. Sie verloren mit etwas mehr als 46 Prozent die absolute Mehrheit. Die Sozialdemokraten hatten bereits gewarnt: "Hakenkreuz heißt: Arbeitermord! Konzentrationslager!" Auch sie mussten beträchtliche Verluste hinnehmen. Die Nationalsozialisten hingegen triumphierten: Mehr als 14 Prozent und acht Mandate brachten ihnen auch einen Sitz in der Landesregierung ein. Sie hatten die Großdeutschen aufgesogen, deren Geschichte damit endete.

Die Position des Landeshauptmannes blieb - wie in der gesamten Ersten Republik - in christlichsozialen Händen, diesmal des konsensorientierten, demokratischen Josef Reiter. Dessen Ausspruch "Nun sind wir sie endgültig los" nach dem Verbot der NSDAP 1933 sollte sich als fatale Fehleinschätzung erweisen.

Das Thema Südtirol
dominierte 1919 den
Tiroler Wahlkampf

In Tirol ergab sich schon bei der ersten Landtagswahl 1919 eine politische Konstellation, die sich lange bis in die Zweite Republik fortsetzte. Die Tiroler Volkspartei (so hießen die Christlichsozialen dort), dominiert vom Katholischen Bauernbund, konnte bei allen Wahlen die absolute Mehrheit behaupten und bestimmte so de facto allein die Landespolitik. Sozialdemokraten und Großdeutsche konnten, obwohl in der Landesregierung vertreten, unter diesen Umständen kaum gestaltend wirken.

Die Sozialdemokratie hatte in Tirol einen besonders schweren Stand und musste sich ständig gegen den Vorwurf, sie sei von ihrer jüdischen Führung in Wien aus gesteuert, zur Wehr setzen. Die Großdeutschen verloren von Wahl zu Wahl immer mehr an Stimmen, vor allem an deutschnationale Kleinparteien.

Das alles bestimmende, stark emotional aufgeladene Thema bei der ersten Landtagswahl 1919 war der Verlust Südtirols. Alle Parteien wollten zwar Südtirol für ein gemeinsames Tirol retten, allerdings waren die Lösungsansätze unterschiedlich, was zu heftigen gegenseitigen Angriffen führte.

In der Mehrheitspartei und damit in der Mehrheit der Tiroler Bevölkerung herrschten durchgehend ein wüster Antisozialismus und Antisemitismus. Bei den letzten Landtagswahlen im Jahr 1929 spielten die Nationalsozialisten, die in zwei Gruppen gespalten waren, noch keine Rolle. Der Wahlkampf für die im April 1933 vorgesehenen Landtagswahlen war bereits angelaufen und wurde von den Nationalsozialisten bestimmt. Die Tiroler Landesregierung befürchtete einen NS-Erdrutschsieg, weshalb sie die Wahlen aus formalen Gründen widerrief, ohne einen neuen Termin anzusetzen.

Kärntens Kontinuität
der Instabilität und die "antimarxistische Front"

Kärnten bildet aufgrund seiner Lage, seiner Geschichte, des Abwehrkampfes 1919 und der Volksabstimmung 1920 einen Sonderfall unter den Bundesländern. Bis in die Gegenwart herein gibt es in Kärnten seit Beginn der Ersten Republik eine Kontinuität, nämlich dass es keine Kontinuität und keine klare politische Stabilität gab und gibt. Dazu kam, dass die vier Landtagswahlkämpfe in der Ersten Republik alle gleichzeitig mit den Nationalratswahlen stattfanden, womit die ideologische Diskussion im Vordergrund stand. Durchgehend bestand eine - allerdings sehr brüchige - "antimarxistische Front" aller bürgerlichen Parteien gegen die Sozialdemokratie. Nach den Landtagswahlen gab es - mit Ausnahme des Jahres 1923 - stets instabile Konstellationen. Die Landeshauptmänner waren entweder bürgerlich-parteilos oder vom Landbund, einer wurde von den Sozialdemokraten gestellt.

Die für Juni 1919 vorgesehenen Landtagswahlen konnten wegen des Kärntner Abwehrkampfes nicht stattfinden, sodass erst im Juni 1921 gewählt wurde. Die Sozialdemokraten wurden stärkste Partei, erreichten aber mit 19 Mandaten nur die Hälfte der Landtagssitze. Die drei bürgerlichen Gruppierungen - Kärntner Wahlgemeinschaft (Kärntner Bauernbund), Christlichsoziale Partei und Großdeutsche Volkspartei - erreichten ebenfalls 19 Mandate, sodass im Landesparlament ein klassisches Patt herrschte. Die zwei Mandate der Kärntner Slowenen halfen nicht weiter, da eine Zusammenarbeit mit dieser Partei undenkbar war. Man einigte sich relativ rasch auf einen Sozialdemokraten als Landeshauptmann.

1923 erreichte die bürgerliche Einheitsliste die absolute Mehrheit. 1927 gab es wegen Uneinigkeiten mit dem Landbund nur noch eine "Kleine Einheitsliste" aus Christlichsozialen, Großdeutschen und einem nationalsozialistischen Ableger. Ein parteiloser Landeshauptmann war die Verlegenheitslösung.

Bei der letzten Landtagswahl 1930 wurden die Sozialdemokraten neuerlich stärkste Partei, gefolgt vom Nationalen Wirtschaftsblock und der diesmal allein kandidierenden Christlichsozialen Partei. Der Nationale Wirtschaftsblock stellte nach der Wahl den Landeshauptmann. Mit dem Heimatblock (drei Mandate) und der Hitler-Bewegung (zwei Mandate) hatten mehr als 15 Prozent der Kärntner Wählerschaft die beiden demokratiefeindlichen Parteien gewählt. Ein deutliches Vorzeichen für die folgenden dramatischen 1930er Jahre.

Bereits 1922 saß ein
Nazi in der Salzburger Landesregierung

In Salzburg waren die Landtagswahlkämpfe 1919 und 1922 reine Parteienwahlkämpfe, die Spitzenkandidaten traten erst ab 1927 immer mehr in den Vordergrund. Vor allem die Christlichsozialen nutzten den Bonus ihres populären und erfolgreichen Landeshauptmannes Franz Rehrl, der von 1922 bis 1938 dieses Amt innehatte.

Eine Besonderheit Salzburgs war, dass die Nationalsozialisten in ihren verschiedenen Ausformungen seit Beginn der Republik ein mitgestaltender politischer Faktor waren. Meist nutzte eine der bürgerlichen Parteien die Kollaboration mit den Nationalsozialisten zur Verbesserung ihrer strategischen Position. Schon 1922 bildeten die Christlichsozialen mit den Nationalsozialisten eine Wahlgemeinschaft, wodurch schon damals ein Nationalsozialist einen Sitz in der Landesregierung erhielt. 1927 bildeten die Großdeutschen einen Wahlverband mit der NSDAP. 1932 lehnte die Hitler-Bewegung jede Kooperation ab und erzielte alleine sechs Mandate und damit einen Sitz in der Landesregierung.

Bis 1927 wurden alle Wahlkämpfe äußerst traditionell geführt. 1932 dominierten die Hitlerianer mit einer modernen, aggressiven und permanenten Agitation den Wahlkampf. Sie ließen niemanden im Unklaren darüber, was von ihnen zu erwarten war. Entweder wollte man es nicht hören oder man nahm es nicht ernst.

Trotz der Zugewinne der NSDAP in der letzten Runde der Landtagswahlen blieb die Dominanz der demokratischen Parteien bei hohen Wahlbeteiligungen bis zuletzt unangefochten. Ebenso blieb ihre Fähigkeit zur Kooperation trotz heftiger Wahlkämpfe nicht zuletzt wegen des Proporzsystems stabil. Im Wesentlichen sind die Kontinuitäten bis in die Gegenwart stärker ausgeprägt als die Brüche.

Zum Autor

Franz Schausberger

war von 1996 bis 2004 Landeshauptmann von Salzburg und ist Universitätsprofessor für Neuere Österreichische Geschichte.

Buchtipp:

Herbert Dachs, Michael Dippel-reiter, Franz Schausberger (Hg): Radikale Phrase, Wahlbündnisse und Kontinuitäten. Landtagswahlkämpfe in Österreichs Bundesländern 1919 bis 1932.
Böhlau; 607 Seiten; 50 Euro