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Der billigste Zaun ist eine aktive Politik

Von Karl Aiginger

Gastkommentare

Gastkommentar: Überlegungen zur bevorstehenden österreichischen EU-Präsidentschaft.


Europa braucht Geld für einen EU-Außenschutz; ein wenig gegen IS-Terroristen, mehr gegen Flüchtlinge. Österreich bastelt an einer raschen Eingreiftruppe. Neue Flüchtlingslager am Stadtrand werden zu Rekrutierungscamps für Radikalisierung. Das Bundesheer braucht neue Kampfflieger, für Flugshows, aber auch für Kontrollflüge. Die Polizei muss verstärkt werden. Schön, dass unsere Schulen, Kindergärten und Universitäten schon genug Geld haben, unnötige Kasernen schon verkauft und die Steuern schon gesenkt sind.

Jede Abwehrstrategie ist populär und leicht begreiflich - aber auch teuer. Weil zuerst die Zäune gebaut werden und später dann die negativen Folgen auftreten: längere Grenzwartezeiten, stärkere Kontrollen auch im Inland, Inflation und Verluste von Jobs durch verringerte internationale Arbeitsteilung. Exporterfolge und Erfolgsgeschichten wie die Ostöffnung werden zurückgenommen.

Migranten vor Ort ausbilden

Aktivstrategien sind langfristig billiger. Investitionen in Nachbarländer sind Arbeitsplätze von morgen. Europas Nachbarn wachsen um 5 bis 10 Prozent pro Jahr, wenn sie nicht durch Kriege und Diktaturen daran gehindert werden. Europa, der UNO und auch Österreich ist es in der Vergangenheit gelungen, Konflikte zu entschärfen; am Balkan mit erstaunlichem Erfolg; in Zypern war der Erfolg zum Greifen nahe; in der Ukraine haben wir zu wenig vermittelt. Es ist auch schwierig, weil immer irgendjemand zu destabilisieren versucht: US-Präsident Donald Trump in Palästina, Russlands Präsident Wladimir Putin am Balkan, Rechtspopulisten in Griechenland oder Bosnien-Herzegowina.

Europa braucht Fachkräfte. Es gibt sie jedenfalls in Kroatien, teilweise in Griechenland. Aber sie dürfen nicht oder wollen nicht zu uns kommen. Und dann gibt es Migranten, die in ihrer Heimat erstaunliche Leistungen erbracht haben, bevor sie weggebombt wurden oder ihr Land durch Dürre verloren haben. Ihre Qualifikationen sind oft nicht dokumentiert. Sie wollen arbeiten oder selbständig werden. Ihre Kinder wollen bei uns die Lehre machen. Sie werden zurückgeschickt wie nicht bestellte Waren.

Zusätzlich könnte Europa profitieren, wenn es die Ausbildung in den Herkunftsländern verbesserte und dort unter UN-Schutze Sonderzonen förderte, in denen gearbeitet, gelernt und höher qualifiziert würde. Entweder blieben potenzielle Migranten dann in der Nähe ihrer Heimat, oder sie kämen höher qualifiziert und mit besserem Verständnis für europäische Sprachen und Werte.

Das ist nicht gratis für Europa, aber billiger, weil Investitionen die Wirtschaft tendenziell beleben und Friktionskosten senken. Zäune und Grenzkontrollen verringern den Warenfluss und schränken die Reisefreiheit ein. Investitionen sind zunächst ein Umweg, wenn sie in Bildung fließen auch ein längerer. Aber sie bringen höheren Ertrag.

Ostöffnung als Erfolgsbeispiel

Defensiv oder offensiv? Das war schon einmal die Frage. Auch nach dem Fall des Eisernen Vorhanges gab es Stimmen, die vor "Überschwemmungen" durch billige Produkte und Billigarbeitskräfte warnten. Mutigen Europäern ist aber gelungen, die Zäune zu durchschneiden, Schritt für Schritt Mauern niederzureißen ob in Berlin oder im Burgenland.

Die Weltbank hat Europa als Integrationsmaschine bezeichnet, weil es uns gelungen ist, Staaten mit einem total unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen System zu integrieren. Das Aufholtempo war höher als je in der Geschichte, mit klarem Ziel und konsequenten Teilschritten. Großbritannien erlebte einen Wirtschaftsboom, handwerkliche Leitungen und längere Öffnungszeiten von Geschäften waren in einer überregulierten, bequemen Gesellschaft plötzlich wieder möglich. In der Finanzkrise strömten Polen mit neuen Fähigkeiten und Unternehmergeist aus London zurück, sodass in Polen als einzigem EU-Land auch in der Krise die Wirtschaftsleistung stieg.

Natürlich war auch dieser Wandel nicht ohne Verlierer. Diese wurden von Populisten benutzt, um den Brexit zu initiieren und in Polen das Rechtssystem auszuhöhlen. Als Optimist glaube ich, dass beides in drei Jahren Geschichte sein wird. Aber Europa muss auch in neue Strukturen und bessere Entscheidungen investieren. Europa muss lernen, seine Ziele besser zu kommunizieren, seine Bürger einbeziehen.

Regeln müssen die Richtung weisen, aber innovative und regionale Lösungen zulassen. Bei Steuern müssen die Bemessungsgrundlage und eine Bandbreite festgelegt werden, nicht der Steuersatz. Illegale Transaktionen müssen verhindert werden, ebenso Tricks zur Umgehung von Erbschaftsbesteuerung in den letzten Lebensjahren. Europa braucht mehr Migration, als es heute durch die ungesteuerte Fluchtbewegung bekommt. Aber manche Länder sind mit der Konzentration der Migranten überlastet. Die Aufteilung sollte besser sein, also mehr dem Bedarf entsprechen.

Das geht aber nicht mit Mindestquoten für Staaten, die dann auch leicht von Ungarn, Polen und anderen Ländern mit populistischen Regierungen abgelehnt werden, sondern mit Angeboten Europas an Gemeinden und Regionen, die durch die Alterung Schulen und Betriebe verlieren. Durch die Aufnahme von Migranten - kombiniert mit EU-Geld für Investitionen und neue Betriebe - können sie eine Trendwende erreichen. Die Investitionsmittel dafür sind niedriger und besser angelegt als jene für Zäune, Mauern und Militär. Ungarn hat übrigens gegen seine Quote lautstark polemisiert, dann aber mehr Flüchtlinge aufgenommen.

Vorwärts oder zurück?

Es sind Investitionen unterschiedlicher Art, die es braucht; manchmal Straßen und Häfen. Noch erfolgreicher wären Firmengründungen und Investitionen in Bildung, Ausbildung und Reformen des politischen Systems. Und Kontakte zur Zivilgesellschaft, wenn die politische Führung gerade autoritär und populistisch ist.

Zäune und Mauern bringen einen permanenten Schaden, sie reduzieren den Handlungsspielraum: zuerst den von jenen, die sie abhalten sollen, dann den von allen. Eine aktive Strategie zur Stabilisierung der Nachbarschaft durch Investitionen wäre ein wertvoller Beitrag Österreichs in seiner EU-Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 2018. Dass der Weg auch für Österreich ein Erfolg ist, haben wir bei der Ostöffnung gesehen.

Zum Autor

Karl Aiginger

ist Professor an der WU Wien und Direktor der Querdenkerplattform, Wien-Europa. Ausführliche Überlegungen zu dem Thema finden sich im gemeinsamen Policy Brief "Europa braucht dynamische und stabile Partner" der Querdenkerplattform und der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik im Internet: www.querdenkereuropa.at.