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Kein Ende in Sicht

Von Markus Schauta

Gastkommentare

Mit der Zerschlagung des Kalifats geht der Wettlauf um Syriens Aufteilung in die nächste Runde.


Am 20. Jänner startete die Türkei ihren Angriff auf Afrin, einen bis dahin vom Krieg weitgehend verschont gebliebenen Landstrich im Nordwesten Syriens. Afrin ist Teil von Rojava, jenem kurdischen Autonomiegebiet, das sich, geht es nach den Vorstellungen der Partei der Demokratischen Union (PYD) und der Volksverteidigungseinheiten (YPG), einmal entlang der gesamten Breite des nördlichen Grenzgebietes von Syrien erstrecken soll.

Ausweitung der Gebiete

Die Realisierung dieser autonomen Region verlief bis jetzt erfolgreich. Seit dem Rückzug der syrischen Armee aus drei kurdischen Enklaven im Norden Syriens im Jahr 2013 konnte die YPG ständig neue Gebiet gewinnen, vor allem durch die Offensiven der von den USA aufgebauten und unterstützten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF). Die von der YPG dominierten Einheiten konnten neben zahlreichen Siegen über den IS vor allem eines erreichen: eine beachtliche Ausweitung der von Kurden kontrollierten Gebiete in Syrien. Dazu zählen Teile der rohstoffreichen Regionen im Osten des Landes, unter anderem das Al-Omar-Ölfeld, eines der größten Syriens, und das Conoco-Gasfeld. Hinzu kommen Städte wie Rakka, die ein wichtiges Faustpfand sein kann, wenn es um die Mitsprache der Kurden bei Verhandlungen um Syriens Zukunft geht.

Unterstützt von den USA, kontrollieren SDF und YPG inzwischen 25 Prozent des syrischen Territoriums, wozu auch nicht-kurdisch besiedelte Gebiete zählen. Ihren Einsatz in Syrien rein auf den Kampf gegen den IS zu reduzieren, greift daher zu kurz. Die Eroberungen sind Teil des Wettlaufs um syrisches Territorium in wechselhaften Bündnissen.

Als im Februar 2016 syrische Regierungstruppen und schiitische Milizen in den Norden Aleppos vordrangen, stießen Einheiten der YPG zeitgleich vom Westen her in die von der Opposition gehaltene Region vor. Erfolg der Offensive: Die Stadt Tell Rifaat und der Luftwaffenstützpunkt Menagh konnten der kurdischen Region Afrin angegliedert werden. Auf Kosten der Opposition, die die wichtige Versorgungsroute Aleppo - türkische Grenze verlor.

Zivilisten zwischen Fronten

Nein, das waren nicht die ersten Auseinandersetzungen zwischen YPG und Opposition, und nicht immer gingen die Angriffe von der YPG aus. Aber der Vorfall kann erklären, warum zahlreiche Verbände der sunnitischen Opposition gerne bereit sind, sich an der türkischen Offensive gegen Afrin zu beteiligen. Tausende Zivilisten, die 2016 zwischen die Fronten gerieten, sitzen heute in Camps nahe der türkischen Grenze fest. Viele machen die YPG für ihr Unglück verantwortlich - und begrüßen die türkische Offensive. Zumal der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ihnen in Aussicht stellt, dass sie bald in ihre Dörfer zurückkehren können.

Freilich auch das zum Preis eines neuen Krieges im Krieg - für den die Türkei jenen Milizen-Mix mobilisiert hat, den sie als "Freie Syrische Armee" (FSA) verkauft und der als Speerspitze der Afrin-Offensive bisher die meisten Verluste hinnehmen musste. Gut für Recep Tayyip Erdogans PR-Maschinerie, die zuhause weniger türkische Opfer erklären muss.

Syriens Präsident Bashar al-Assad wiederum kann zusehen, wie Teile der verbliebenen Opposition und die nach Autonomie strebenden Kurden einander gegenseitig abknallen. Und um es der Türkei nicht allzu leicht zu machen, erlaubt das Regime der YPG, zusätzliche Soldaten durch vom Regime kontrolliertes Gebiet nach Afrin zu schaffen.

Selbst wenn Assad bereit sein sollte, den Kurden eine Art von Autonomie zuzugestehen, wird er dies nach seinen Spielregeln tun wollen. Der Kreml wollte die Kurden schon länger davon überzeugen, die Kontrolle der Grenzgebiete zur Türkei wieder dem Regime zu überlassen, im Austausch für einen Autonomie-Status. Die Kurden lehnten ab. Eine militärisch geschwächte YPG spielt Assad bei möglichen neuen Verhandlungen nur in die Hände.

Claims werden abgesteckt

Die ausländischen Player stecken derweil im Hintergrund ihre Claims ab. Die USA haben im Kurdengebiet Stützpunkte errichtet; in Kobane, Hasaka und Rmelan. Offiziell, um ein Wiederaufleben des IS zu verhindern, wohl aber auch, um den Einfluss des Iran einzudämmen. Dieser wiederum betreibt Einrichtungen in Aleppo, Hama und südwestlich von Damaskus. Die Türkei soll einen Stützpunkt in Al-Bab erbaut haben und Großbritannien eine Militärbasis im jordanisch-syrisch-irakischen Grenzgebiet in Al-Tanf, an der wichtigen Verbindungsstraße zwischen Damaskus und Bagdad. Die Russen haben ihre Marine-Basis in Tartus und den Luftwaffenstützpunkt Khmeimim.

Alle diese Staaten werden bei den Verhandlungen zur politischen und territorialen Zukunft Syriens eine wesentliche Rolle spielen. Inwieweit sich die Wünsche der syrischen Bevölkerung gegenüber geostrategischen Überlegungen werden durchsetzen können, bleibt fraglich.

Bis es so weit ist, frisst der Krieg weiter die Menschen und das Land auf. Zu den bisher 400.000 Toten und elf Millionen Vertriebenen werden weitere hinzukommen. Im Bombenhagel in den Vororten östlich von Damaskus, in Hama, in Idlib. Und demnächst wohl auch in Afrin.