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Politik und Moral

Von Reinhard Viertl

Gastkommentare
Reinhard Viertl war Vorsitzender der Bundeskonferenz des wissenschaftlichen Personals der österreichischen Universitäten und Ordinarius für Angewandte Statistik an der Technischen Universität Wien.

Es wäre schön, wenn ein von allen anerkannter Kodex zum politischen Verhalten gefunden werden könnte.


Die Äußerung eines ehemaligen österreichischen Kanzlers, dass die Politiker an der Spitze der Moralpyramide stehen müssen, ist bemerkenswert, zeigt sie doch deutlich, dass auch Politiker davon überzeugt sind, dass moralische Wertvorstellungen für die Politik wichtig sind. Die politische Realität lässt manchmal jedoch Zweifel daran aufkommen. Ersetzt man in der Aussage das Wort "müssen" durch "sollten", ist der Forderung vorbehaltlos zuzustimmen. Dabei erhebt sich sofort die Frage, welche Moral gemeint ist. Da moralische Vorstellungen oft mit religiösen Werten verknüpft sind, ist diese Frage in einem von Religionen unabhängigen Staatswesen entscheidend. Eine sogenannte öffentliche Moral müsste unabhängig von Religionen allgemein akzeptierbar sein. Diese Problematik hat auch der ehemalige deutsche Kanzler Helmut Schmidt im Jahr 2000 in seinem Buch "Auf der Suche nach einer öffentlichen Moral" deutlich gemacht. Die allgemeinen Menschenrechte sind wohl nur ein geringer Teil dessen, was für eine tragfähige gesellschaftliche Moral nötig ist. Dazu gehören neben demokratischen Grundsätzen auch Menschenpflichten wie Anständigkeit, Respekt, Friedfertigkeit, Toleranz, Sorgfalt, Fleiß und Mitgefühl, um ein Mindestmaß an Gerechtigkeit zu ermöglichen. Bedenkt man, dass einige dieser Wertvorstellungen in allen großen Religionen gefordert werden, könnte man als Ausgangspunkt versuchen, jene moralischen Forderungen des Zusammenlebens zu finden, die allen Religionen gemeinsam sind. Bei gutem Willen sollte es möglich sein, eine allgemein akzeptierbare Moral zu realisieren. Es wäre schön, wenn so ein Kodex zum politischen Verhalten gefunden werden könnte, der auch von nicht religiösen Personen anerkannt wäre und - bei Befolgung der so erstellten Wertvorstellungen - eine gerechtere, solidarische, friedliche und verständnisvolle Gemeinschaft ermöglichen würde.

Solidarität ist die Realisierung von Mitgefühl für andere, indem ökonomisch Benachteiligte in einer wohlhabenden Gesellschaft so materiell unterstützt werden, dass sie sich als deren Teil empfinden können. Diese Wertvorstellungen könnten neben den schon jetzt geforderten Prinzipien von Humanismus, Rationalität, Säkularität, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten auch als Grundlage für ein Leitbild einer dauerhaften Gesellschaft dienen. Allerdings ist dies zu wenig für ein Leitbild, da konkrete Gerechtigkeitsvorstellungen auch Vorteile aufgrund von Geburt oder Zugehörigkeit zu einer Bevölkerungsgruppe möglichst klein halten sollten. Dies betrifft auch die Abschaffung nicht gerechtfertigter Privilegien und eine sinnvolle Begrenzung von Gehältern nach unten und oben, um den Gemeinschaftssinn zu stärken.

Dabei wäre zu beachten, dass jeder Mensch gemäß seinen Begabungen seinen Beitrag zur Gemeinschaft leisten sollte. Auch dies wäre eine zukunftsträchtige Menschenpflicht. Im Sinne des Bestehens guter Errungenschaften und der Weiterentwicklung des Gemeinwesens sollte es doch möglich sein, eine von möglichst vielen Menschen akzeptierte und zukunftsweisende Moralvorstellung zu finden. Ob man dies dann Ethik oder Moral nennt, ist nicht entscheidend.