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Die EU kann den "Druckkochtopf" Kosovo öffnen

Von Lukas Mandl

Gastkommentare

In zehn Jahren möge die Republik Kosovo von jedem Staat der Welt anerkannt sowie Mitglied in EU, Nato und UNO sein - das war der Geburtstagswunsch für den Kosovo, ausgesprochen durch einen hohen Gast: den US-Kongressabgeordneten Eliot Engel. Er hielt eine Festrede in der Jubiläumssitzung des kosovarischen Parlaments Mitte Februar. Namens der Europäischen Union wurde dort keine Rede gehalten.

Der US-Vertreter sparte weder mit Lob noch mit Handlungsaufforderungen. Er dankte den Bürgerinnen und Bürgern des jüngsten Staats Europas für in den vergangenen zehn Jahren Erreichtes. Engel formulierte aber auch unmissverständlich das Ersuchen um effektive Weiterarbeit bei der Korruptionsbekämpfung und in anderen Bereichen.

Zu den Feiern anlässlich des zehnten Jahrestages der Staatsgründung zählte auch ein Empfang für Delegationen aus 61 verschiedenen Staaten. Formal anerkannt ist die Republik Kosovo derzeit von 116 Staaten, Tendenz steigend. Auch einige nicht anerkennende Staaten pflegen Beziehungen zu dem Staat, dem sich wohl mehr als 2,5 Millionen Menschen zugehörig fühlen, von denen 1,8 Millionen auf dem Staatsgebiet leben, das etwa so groß wie Oberösterreich ist. Die Auslandskosovarinnen und -kosovaren schicken viel Geld zu ihren Familien in die Heimat. Die geschätzten 0,8 bis 1,6 Milliarden Euro pro Jahr, die so ins Land fließen, bilden für den Staat mit dem jüngsten Durchschnittsalter in der Bevölkerung eine nicht wegzudenkende wirtschaftliche Stütze.

Beim Empfang für die Delegationen sprach ein einziger Ausländer: Robert Story Karem, hochrangiger Vertreter des US-Verteidigungsministeriums. Auch er überbrachte Glückwünsche und gratulierte zum Erreichten. Noch mehr als Engel führte Karem der versammelten politischen Elite des Kosovo vor Augen, wie viel Arbeit noch bevorsteht: Die politischen Institutionen gehörten gestärkt, die Wirtschaft müsse wachsen, die Sicherheit müsse Priorität haben, die Opfer unverantwortlicher Handlungen in Kriegszeiten müssten zu ihrem Recht kommen (die Tätigkeit der kosovarischen Sondergerichte wird auch vom EU-Parlament deutlich eingemahnt), der Dialog mit Serbien sei ohne Alternative, das Ziel sei eine Normalisierung mit dem großen Nachbarn. Es sei an der Republik Kosovo, zu entscheiden, den westlich-demokratischen Weg fortzusetzen. (Das Funktionieren der Demokratie steht im Kosovo übrigens nicht in Zweifel. Das zeigen die Ergebnisse der internationalen Wahlbeobachtungen.)

Fünf EU-Staaten haben den Kosovo noch nicht anerkannt

Auch beim Festakt war keine Rede eines EU-Vertreters auf der Agenda. Dabei kommt aus der EU heute in finanzieller Hinsicht die größte Unterstützung für den neuen Staat (1,48 Milliarden Euro aus EU-Unterstützungsfonds in der laufenden 13-jährigen Periode bis 2020, zuzüglich Darlehen durch die Europäische Investitionsbank und Geldern für den gesamten Westbalkan). Starke Beziehungen zwischen den heutigen EU-Mitgliedstaaten und den Staaten des Westbalkans sind im Sinne der nachhaltigen Stabilität Europas, im geostrategischen Interesse der EU und im wirtschaftlichen Interesse speziell auch Österreichs, woher viele Investitionen am Westbalkan kommen.

Dass die EU im Freundeskreis des Kosovo nicht zumindest gleichwertig neben den USA steht, liegt nicht in der Verantwortung des Kosovo oder der USA, sondern in jener der EU. Bei uns in Europa mischen sich in das Konzert der konstruktiven Zukunftsgestaltung für Südosteuropa immer wieder auch Misstöne: Fünf EU-Staaten haben den Kosovo noch nicht anerkannt, wenn auch aus jeweils wohl eher innenpolitischen Gründen. Auch österreichische Investoren beklagen, dass der Abruf von EU-Mitteln für Südosteuropa viel zu kompliziert ist. (Das kennen wir auch innerhalb der EU.)

Das Vertrauen in den eigenen Staat muss noch wachsen

Es herrscht Frieden am Balkan. Die Demokratie ist in guter Entwicklung. Die Freiheit wächst. Die Bürger des Kosovo zeigen große Geduld beim Aufbau ihres Staates. Ihr Vertrauen in ihre eigene Republik, ihre Eigenstaatlichkeit, muss noch wachsen. So können sie sich gegen Nationalismus und Populismus wappnen. Die Rechtsstaatlichkeit gehört vertieft, die Korruption weiter bekämpft. Das wird auch Investitionen bringen und Arbeitsplätze schaffen. Die Amerikaner waren bei den Republiksfeiern nicht zimperlich mit klaren Forderungen.

Die Forderungen der EU sind fast deckungsgleich. Aber die USA sprechen eine einzige Sprache und verfolgen eine unmissverständliche Linie. So weit ist die EU noch nicht. Die Anfang Februar präsentierte Westbalkan-Strategie der EU-Kommission, die maßgeblich die Handschrift von EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn trägt, ist aber ein Schritt in die richtige Richtung.

Rund um die Feierlichkeiten schien ein wichtiger Beschluss im kosovarischen Parlament zum Greifen nahe. Es geht um die Grenzziehung mit Montenegro. Diese bilaterale Klärung ist - neben dem Funktionieren der Gerichte - die letzte verbliebene Bedingung der EU dafür, dass die Kosovaren bekommen, was die Bürger aller (!) anderen Westbalkan-Staaten schon haben: Visafreiheit - also das Recht, für maximal drei Monate in die EU zu reisen. Wenn man sich vor Augen hält, dass ein Drittel der Kosovaren nicht im Kosovo lebt und wie sehr ein kleines Binnenland auf die Außenwirtschaft angewiesen ist, bekommt man eine Ahnung, wie wichtig die Visafreiheit ist.

Der Beschluss im kosovarischen Parlament ist noch nicht zustande gekommen. Ebenso wenig wie das Kriterium der Demarkierung mit der Sache selbst zu tun hat, scheint das Fehlen der nötigen Mehrheit im Parlament mit der Sache selbst zu tun haben. Der so dringend benötigte Beschluss scheitert wohl an politischen Spielchen (was kein Spezifikum des Kosovo ist, derlei kommt in allen Staaten der Welt vor). Sobald die Grenzziehung in trockenen Tüchern ist, ist es am Rat der Innenminister, den "Druckkochtopf" zu öffnen und die Visafreiheit zu realisieren.

Dass die EU im Freundeskreis des Kosovo nicht zumindest gleichwertig neben den USA steht,
liegt nicht in der Verantwortung des Kosovo oder der USA, sondern in jener der EU.

Zum Autor

Lukas Mandl

vertritt
Österreich als Abgeordneter der ÖVP zum Europäischen Parlament, gehört der Bosnien-Kosovo-Delegation des EU-Parlaments an und ist Präsident der Österreichisch-Kosovarischen Freundschaftsgesellschaft (lukasmandl.eu). privat