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Bürgernahe Eliten, die bürgerfern wirken

Von Melanie Sully

Gastkommentare
Melanie Sully ist gebürtige Britin. Die Politologin leitet das in Wien ansässige Institut für Go-Governance.

Manche Politiker leben in einer Parallelwelt. Auf EU-Ebene wird die Kluft zwischen "denen da oben" und dem Volk offensichtlich.


Der Ansturm auf das "Don’t smoke"-
Volksbegehren lässt die Regierung plötzlich so fern erscheinen wie die vorherige, abgewählte Koalition. Dabei werden auch die Zwänge eines Koalitionsabkommens betont, der die Beteiligten zwingt, entweder zusammenzuhalten oder Neuwahlen ins Auge zu sehen. Das Rauchen an öffentlichen Plätzen wäre geeignet für einen koalitionsfreien Raum. Wie frei eine derartige Abstimmung innerhalb der Klubdisziplin wäre, ist jedoch fragwürdig.

"Bürgernah" ist zu einem leeren Schlagwort geworden, das Spitzenpolitiker verwenden, um die Bürger davon zu überzeugen, dass sie wirklich im besten Interesse aller handeln. Auf EU-Ebene wird die Kluft zwischen "denen da oben" und dem Volk offensichtlich. Und beinahe zwei Jahre nach dem Brexit-Referendum sind die Absichten, die EU bürgerfreundlicher zu machen, vergessen. Diesmal ist nicht das Vereinigte Königreich die Bremse des Reformwillens, da die EU-27 alleine handeln könnten.

Deutschland ist geschwächt, die osteuropäischen Länder sind verärgert, die Vision des französischen Präsidenten für Europas Zukunft ist etwas zu inspirierend. Andere Ideen wie die Direktwahl des EU-Kommissionspräsidenten dürften das fehlende Vertrauen in die europäischen Eliten nicht ausgleichen. Artikel 11 des Vertrags von Lissabon, der eine stärkere Anhörung der Öffentlichkeit und Beteiligung der Zivilgesellschaft im Entscheidungsprozess vorsieht, ist noch nicht durchgesickert. Es geht jedoch nicht nur um mehr Direktwahlen, sondern um die Kontrolle über mächtige Eliten. Die Führung der Eurozone wäre ein Bereich, der von mehr Transparenz profitieren würde.

Allmählich entwickelt Österreich eine Kultur der politischen Partizipation; bis jetzt wurde die Politik von den Parteien und den wichtigsten Interessengruppen gesteuert. Eine effektive Anhörung der interessierten Gruppen und jener Personen, die von Gesetzen betroffen sind, muss stattfinden, bevor eine Entscheidung getroffen wird. Gesetzesentwürfe müssen infolge des Begutachtungsverfahrens geändert werden können, und wenn nichts geändert wird, soll den Bürgern erklärt werden, warum ihre Ideen abgelehnt wurden.

Österreich könnte viel mehr tun, um die Qualität der repräsentativen Demokratie zu fördern: mit digitalen parlamentarischen Debatten, Behandlungen in den Ausschüssen samt die Livestreams und Informationsbüros auch außerhalb von Wien, die Wählern zur Verfügung stehen, um zu erklären, wie sie Entscheidungsprozesse beeinflussen können.

Den Wählern lediglich die Möglichkeit zu geben, sich an Online-Kommentaren zu Gesetzesentwürfen zu beteiligen oder Petitionen zu unterzeichnen, ist nicht genug. Untersuchungen in Deutschland haben gezeigt, dass Petitionsunterzeichner überwiegend männlich und gebildet sind sowie aus jenen Teilen der Gesellschaft stammen, die ohnehin bereits politisch engagiert sind.

Es muss eine Analyse jener durchgeführt werden, die sich an der Politik beteiligen, um zu beurteilen, ob sie wirklich inklusiv ist und den Unterrepräsentierten eine echte Stimme gibt. Dies ist zwar kostenintensiv, könnte langfristig jedoch Zeit sparen und die Legitimität des politischen Systems stärken.