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Lieber gleich-berechtigt als später

Von Christine Mayrhuber und Silvia Rocha-Akis

Gastkommentare

Zur Verbesserung der Arbeitsmarktintegration der Frauen - und damit auch ihrer Lebenseinkommen - braucht es in erster Linie eine Umverteilung der Care-Arbeit.


Christine Mayrhuber ist Ökonomin am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) mit den Arbeitsschwerpunkten Pensionsversicherung, Wohlfahrtsstaat und Verteilung.
© Wifo/Eric Kruegl

In den 1970er Jahren konnten, so formulierte es die deutsche Soziologin Jutta Allmendinger, Frauen eher über den Heiratsmarkt als über den Erwerbsarbeitsmarkt ihre Alterssicherung erreichen. Seither ist der Anteil erwerbstätiger Frauen in Österreich um knapp 20 Prozentpunkte auf etwa 70 Prozent deutlich gestiegen, der Anteil der Männer von 85 Prozent auf 80 Prozent gesunken. Frauen konnten am wirtschaftlichen Aufschwung der vergangenen Jahrzehnte durch die gestiegene Arbeitsmarktpartizipation teilhaben. Im zeitlichen Vergleich hat sich die ökonomische Lage der Frauen verbessert. Im zeitpunktbezogenen Vergleich zeigen sich allerdings große Unterschiede zwischen der ökonomischen Lage von Frauen und Männern.

Arbeitszeit

Unbezahlte Betreuungs- oder Pflegearbeit - auch Care-Arbeit genannt - ist zwischen Frauen und Männern ungleich verteilt. Care-Arbeit als "Tätigwerden für andere" mit Momenten der Fremdbestimmung wird in den Verantwortungsbereich von Frauen und von Institutionen gelegt. Die Arbeitsmarktpartizipation der Männer ist davon weitgehend unberührt, wie das hohe Stundenausmaß vollzeitbeschäftigter Männer (41,9 Wochenstunden in Österreich und 41,0 im Durchschnitt der 28-EU-Staaten) oder ihre geringe Teilzeitquote (diese ist bei Männern ohne Kinder höher als bei Männern mit Kindern) zeigt.

Der Gender-Time-Gap der Care-Arbeit manifestiert sich auch am Erwerbsarbeitsmarkt: Sofern eine Wahlmöglichkeit besteht, stimmen Frauen das Ausmaß ihrer Arbeitsmarktpartizipation mit der Care-Arbeit ab und sind zeitlich weniger flexibel als Männer. Ein vergleichsweise hoher Arbeitseinsatz (Stichwort: Mehrfachbelastung), geringe ökonomische Absicherung (Teilzeiteinkommen und langfristige geringe Alterseinkommen) und gedämpfte Arbeits- beziehungsweise Aufstiegschancen sind die Rahmenbedingungen der Frauenerwerbstätigkeit in Österreich.

Erwerbseinkommen

Bei der ökonomischen Anerkennung ihrer Leistung in Form von Erwerbseinkommen setzen sich die Unterschiede fort: 2016 betrug das lohnsteuerpflichtige Monatseinkommen (Median) der Frauen knapp 1700 Euro, jenes der Männer bei 2700 Euro. Das Wifo hat - bezogen auf den Bruttostundenlohn - einen geschlechtsspezifischen Lohnunterschied von 15,6 Prozent berechnet.

Silvia Rocha-Akis ist Ökonomin am Wifo mit den Forschungsschwerpunkten Einkommensverteilung, Umverteilung und Verteilungseffekte von wirtschaftspolitischen Maßnahmen.
© Wifo

Rund 5 Prozentpunkte davon erklären sich durch Unterschiede in Schulbildung, Berufserfahrung, beruflicher Funktion, Arbeitszeit, Betriebsgröße, Geburtsland etc. Der größere Teil (knapp mehr als 10 Prozentpunkte) kann mit beobachteten Merkmalen nicht erklärt werden. Hier spielen Faktoren wie betriebliche Gegebenheiten (betriebliche Kinderbetreuung und andere Services zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf) bis hin zum Entlohnungsverhalten der Arbeitgeber beziehungsweise zum individuellen Lohnverhandlungsverhalten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine Rolle.

Alterseinkommen

Die Folgen aus geschlechtertypischer Berufswahl, geringen Einkommen und langen Unterbrechungen summieren sich im - dem Arbeitsmarkt nachgelagerten - Pensionssystem. Das Versicherungsprinzip in der Pensionsversicherung verstärkt tendenziell die geschlechtsspezifischen Ungleichheiten des Arbeitsmarktes. Die definierte Lebensstandardsicherung (nach 45 Versicherungsjahren beträgt die Pension 80 Prozent des durchschnittlichen Lebenseinkommens) geht vom Konzept der kontinuierlichen Vollzeitbeschäftigung aus. Kürzere Erwerbsverläufe und Teilzeiteinkommen bedeuten eine entsprechend geringe ökonomische Absicherung im Alter.

Eine Wifo-Studie zeigt, dass ein Jahr Erwerbsunterbrechung das Lebenseinkommen bei langer Versicherungsdauer um 3 Prozent, bei kürzerer Versicherungsdauer entsprechend höher, verringert. Bei neuzuerkannten Alterspensionen haben rund 50 Prozent der Männer, aber nur 2 Prozent der Frauen 45 Versicherungsjahre und damit eine Alterssicherung im Ausmaß von 80 Prozent ihres durchschnittlichen Erwerbseinkommens. Im Schnitt betrug die 2016 neuzuerkannte Alterspension der Frauen 1055 Euro brutto pro Monat, jene der Männer lag um ein Drittel höher bei 1735 Euro. Jene, die Betreuungsaufgaben übernommen haben und ungenügend durch andere Einkommensquellen (Vermögen, Partner, Hinterbliebenenpension) abgesichert sind, sind dem Armutsrisiko im Alter besonders stark ausgesetzt.

Insgesamt zeigt sich auf der Grundlage von 30 messbaren Indikatoren im "Gleichstellungsindex Arbeitsmarkt" des Wifo, der die Arbeitsmarktsituation (in den Dimensionen Arbeitsmarkt, Einkommen, Bildung, Vereinbarkeit) der Frauen gegenüber den Männern darstellt, eine deutliche Schlechterstellung der Frauen: Der Index erreicht nur 71 Prozent der Männerwerte, und in den vergangenen Jahren gab es keine nennenswerten Verbesserungen.

Es wird kaum eine Frau geben, deren Erwerbsverlauf den dargestellten Durchschnittswerten entspricht. Strukturelle Gender-Ungleichheiten lassen sich mithilfe von Durchschnittswerten zeigen, die Lebensrealitäten der Frauen sind aber heterogen und damit ist die ökonomische Lage für viele deutlich angespannter als in den Durchschnittswerten erkennbar.

Wie weiter?

Auf zunehmend flexiblen Arbeitsmärkten nehmen Arbeitslosigkeits-, Beschäftigungs- und Einkommensrisiken für bestimmte Bevölkerungsgruppen, wie Frauen mit Betreuungspflichten, zu. Obwohl die Qualifikationsstruktur der Frauen jene der Männer bereits überflügelt hat, entwickelt sich die wirtschaftliche Unabhängigkeit nicht gleichlaufend. Zur Verbesserung der Arbeitsmarktintegration der Frauen braucht es in erster Linie eine Umverteilung der Care-Arbeit. Hier sind sowohl Institutionen (öffentliche oder betriebliche Betreuungseinrichtungen) als auch Männer gefordert.

Auch eine Reduktion überlanger Erwerbsarbeitszeiten ermöglicht die Übernahme von Care-Arbeit durch Männer und die stärkere Arbeitsmarktteilnahme der Frauen. Die aufgezeigten Arbeits-Unterschiede zwischen Frauen und Männern lassen sich weniger durch individuelle Verhaltensänderung als durch Veränderungen in den Rahmenbedingungen erreichen. Es bleibt viel zu tun.