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Bemerkenswerte Wahlen

Von Irene Giner-Reichl

Gastkommentare

Auch wenn der erste Präsidentschaftswahlgang in Sierra Leone keine große Überraschung gebracht hat, sind doch mehrere Aspekte dabei interessant.


Mehr als ein Dutzend Nationen halten 2018 auf dem afrikanischen Kontinent größere oder kleinere Wahlen ab; am 7. März hat Sierra Leone den Reigen mit Präsidentschafts-, Parlaments- und Lokalwahlen eröffnet; Ägypten wird Ende März folgen; andere Wahlen, die geeignet sind, weit über die Landesgrenzen zu wirken, werden sich im Laufe des Jahres im Süd-Sudan, in Mali, in Simbabwe, in Kamerun, in der Demokratischen Republik Kongo und in Libyen ereignen.

Wahlen - und entsprechende geordnete Wechsel in den jeweiligen Führungsetagen - sind historisch ein relativ junges Phänomen in Afrika. Nach der Dekolonialisierung wuchs der Anteil der afrikanischen Staaten mit demokratischen Systemen nur langsam an und erreichte bis zum Jahr 2010 in etwa 40 Prozent.

Die mühsame Ablöse des mehr als 90-jährigen Präsidenten Robert Mugabe in Simbabwe, die ebenfalls nicht freiwillige Aufgabe der Macht durch Präsident Jacob Zuma in Südafrika und die Präsidentschaftswahlen mit nachfolgender Anfechtung und höchstgerichtlich verfügter Wahlwiederholung in Kenia haben die Welt in den vergangenen Monaten daran erinnert, dass geordnete Wechsel an der Staatsspitze - auch wenn es Wahlen gibt - keine Selbstverständlichkeit sind. Immerhin gibt es immer noch elf Präsidenten, die seit (zum Teil viel mehr als) 16 Jahren an der Macht sind. Die fünf Spitzenreiter: Teodoro Obiang (Äquatorial-Guinea, 38 Jahre), Paul Biya (Kamerun, 35 Jahre), Yoweri Museveni (Uganda, 31 Jahre), Omar al-Bashir (Sudan, 28 Jahre) und Idriss Deby (Tschad, 27 Jahre). Der derzeitige Präsident der Afrikanischen Union, Paul Kagame, regiert sein Land Ruanda bereits seit 17 Jahren.

16 Präsidentschaftskandidaten im ersten Wahldurchgang

Die Wahlen in Sierra Leone sind in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Es sind die fünften Wahlen in ungebrochener Folge seit der Wiedereinführung der Mehr-Parteien-Demokratie 1996 und die dritten seit dem Ende des Bürgerkriegs 2002. Sierra Leone ist bevölkerungsmäßig mit rund 7,5 Millionen Einwohnern mit Österreich vergleichbar; mit 72.000 Quadratkilometern ist es etwas kleiner als Österreich.

Das Land hatte vor kurzem einen schweren Ausbruch von Ebola und zuletzt einen Bergrutsch zu verkraften, der Hunderte unter Schlammmassen begrub, und das in der Hauptstadt Freetown. Es gehört nach wie vor zu den ärmsten der Welt mit einem Pro-Kopf-BIP von 545 Dollar, die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt 51 Jahre, in der UN-Rangliste der menschlichen Entwicklung liegt es ganz unten auf Rang 179. Bei der ersten TV-Debatte, die je in einem Präsidentschaftswahlkampf in Sierra Leone stattfand, standen dementsprechend Themen wie Arbeitslosigkeit, Zugang zu Elektrizität und sauberem Wasser sowie Korruption im Vordergrund.

Präsident Ernest Bai Koroma kandidiert nach zwei Amtsperioden - entsprechend der Verfassung seines Landes - nicht für eine dritte. 16 Präsidentschaftskandidaten, darunter zwei Frauen, bewarben sich im ersten Wahlgang um seine Nachfolge. Um im ersten Wahlgang zu gewinnen, muss ein Kandidat mehr als 55 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen, also signifikant mehr als in den meisten Ländern.

Wie auch bis vor nicht allzu langer Zeit in Österreich, dominierten in der Vergangenheit seit der Erlangung der Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahr 1961 zwei Großparteien die Wahllandschaft in Sierra Leone: der mit Präsident Koroma regierende All People’s Congress (APC) und die große derzeitige Oppositionspartei Sierra Leone People’s Party (SLPP). Die beiden Parteien haben unterschiedlich starke Anhängerschaften je nach geografischer Region und Ethnie.

Bei der heurigen Wahl versuchte ein in Wien gut bekannter Neuankömmling auf der politischen Bühne Sierra Leones neu aufzumischen: Kandeh Yumkella, langjähriger Generaldirektor der Unido und CEO des Netzwerkes "Nachhaltige Energie für Alle". Nachdem ihn die SLPP nicht als Spitzenkandidaten nominiert hatte, gründete er seine eigene Wahlbewegung, die National Grand Coalition (NGC), die überregional und ethnienübergreifend zu agieren versuchte, wobei ihm seine rhetorischen Fähigkeiten gute Dienste leisteten. Einen besonderen Fokus versprach Yumkella auf eine Bildungsrevolution zu legen, für die er bei einer der letzten großen Wahlkampfkundgebungen in einer Universität warb.

Kandidaten der traditionellen Großparteien in der Stichwahl

Vom APC spaltete sich wiederum der frühere Vizepräsident Samuel Sam-Sumana, den Koroma 2015 fallen ließ, ab und gründete die Coalition for Change (C4C), die vor allem im Nordosten des Landes traditionelle APC-Wähler anzusprechen suchte. Sowohl Kandeh Yumkella als auch Samuel Sam-Sumana wurde in den Wochen des Wahlkampfes die Fähigkeit zugesprochen, in die Stichwahl zu kommen beziehungsweise Königsmacher zu werden.

Der erste Wahlgang am 7. März ist - trotz einiger kleiner Zusammenstöße vor allem zwischen Anhängern der beiden Großparteien - geordnet abgelaufen, wie auch die Westafrikanische Gemeinschaft Ecowas, die Wahlbeobachter entsandt hatte, in einer ersten Erklärung bestätigt hat. Die Wahl stärkt den demokratischen Prozess in Westafrika, wie dies auch schon erfolgreiche Machtübergänge etwa in Liberia und Ghana taten.

Das Aufmischen der überkommenen Partei- und Einflusssphären hat allerdings nicht funktioniert. Im ersten Wahlgang erreichten die beiden traditionellen Großparteien jeweils mehr als 40 Prozent; die beiden stärksten Herausforderer mussten sich mit jeweils rund 6 Prozent (Yumkellas Grand National Coalition) und rund 4 Prozent (Sam-Sumanas Coalition for Change) abfinden. Ob dies genügen wird, dass sie als Königsmacher Bedeutung haben, wird sich erst bei der Stichwahl Ende März weisen.