Erstmals marschierten Jugendliche nach einem Schulmassaker nach Washington, um gegen das US-Waffengesetz zu protestieren. "School Shootings" sind in den USA keine Einzelfälle, sondern an der Tagesordnung. Insgesamt gab es dort allein in den ersten sieben Wochen dieses Jahres 18 derartige Vorfälle an Schulen und Universitäten, rund 300 waren es in den vergangenen fünf Jahren.

Hubert Thurnhofer hat Philosophie studiert und als Deutsch-Lektor in Moskau gearbeitet. Er war Journalist und betreibt seit 20 Jahren eine Galerie in Wien. Außerdem bloggt er auf www.ethos.at. Buchtipp: "Moral 4.0" - ein Beitrag zur Neuorientierung Europas. - © privat
Hubert Thurnhofer hat Philosophie studiert und als Deutsch-Lektor in Moskau gearbeitet. Er war Journalist und betreibt seit 20 Jahren eine Galerie in Wien. Außerdem bloggt er auf www.ethos.at. Buchtipp: "Moral 4.0" - ein Beitrag zur Neuorientierung Europas. - © privat

Der Präsident der Waffenlobby NRA, Wayne LaPierre, kennt die Lösung für dieses Problem. Bereits 2012 hat er von der Kanzel gepredigt: "The only thing that stops a bad guy with a gun is a good guy with a gun." Es ist kein Geheimnis, dass Donald Trumps Wahlkampf von der NRA gesponsert wurde. Und es ist keine Verschwörungstheorie zu behaupten, dass der jetzige US-Präsident dieselbe Weltanschauung wie der NRA-Präsident vertritt.

Für einen Europäer ist es schwer nachvollziehbar, dass diese Einstellung in den USA nicht nur mehrheitsfähig ist, sondern dass die Mehrheit der US-Bürger diese Überzeugung tatsächlich vertritt. Der Begriff der "Mentalität" ist zwar außer Mode geraten, doch es gibt kein besseres Wort als "Mentalitätsunterschied", um die Unvereinbarkeit von US-amerikanischer und EU-europäischer Denkweise zu charakterisieren. Nicht nur in der gängigen Einstellung zur Waffenfrage herrscht Inkommensurabilität. Ein ganz anderer Bereich, der scheinbar nichts mit dem Thema zu tun hat, ist die Einstellung zur Spendenfrage. Doch im Grunde überschneiden sich diese Themen an exakt der gleichen Schnittlinie.

Zwei Vordenker werden derzeit gerade ins Licht der europäischen Öffentlichkeit gerückt, um die US-Position auf dem alten Kontinenten salonfähig zu machen: Richard H. Thaler, der im Vorjahr den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften bekommen hat, und Peter Singer, einer der Gründerväter des Effektiven Altruismus. Singers Buch mit dem gleichnamigen Titel ist 2016 auf Deutsch erschienen, und sein Aufsatz "Hunger, Wohlstand und Moral" wurde 2017 neu aufgelegt, nobilitiert durch ein Vorwort von Bill und Melinda Gates, die meinen: "Peter Singer mag seiner Zeit voraus gewesen sein, als sein Essay zum ersten Mal publiziert wurde, aber heute könnte Singers Zeit gekommen sein."

Wenn Spendenweltmeister einen Philosophen in den Olymp heben, dann könnte das Anlass für allerlei Verschwörungstheorien geben. Doch bleiben wir beim Inhalt des Buches: Wenn irgendwo auf dieser Welt Menschen verhungern und ich spende nicht, damit diese Menschen überleben können, dann ist das genauso schlimm, als ob ein kräftiger Mann nicht in einen seichten Teich springen würde, um ein Kind vor dem Ertrinken zu retten. Das ist die Quintessenz des Artikels "Hunger, Wohlstand und Moral", der dazu auffordert, auf jeglichen Überfluss zu verzichten.